Mit Rad und Racket: Tennis ist nicht nur ein Spiel – es ist eine Lebenslinie
Von Berlin nach Istanbul per Rad, dann mit dem Segelboot weiter nach Mallorca – und dabei immer wieder auf dem Tennisplatz stehen. Für Benjamin Simon ist das die Reise seines Lebens. Inzwischen ist er in Tschechien angekommen.
Tag 1: Von Berlin nach Dahme/Mark – Sand im Getriebe, Wärme im Herzen
Der Morgen in Berlin beginnt still und klar. Ich trete los – mit Herzklopfen, Vorfreude und einem Anhänger voller Ausrüstung im Schlepptau. Der Start fühlt sich an wie ein Aufbruch ins Unbekannte. Die Stadt gleitet langsam hinter mir zurück, und ich lasse Bekanntes hinter mir, um dem Ruf eines alten Traums zu folgen.
Die ersten Stunden verlaufen ruhig, doch dann werde ich jäh aus dem Tritt gerissen: Ein vermeintlicher Weg entpuppt sich als sandige Wildnis. Kein Durchkommen mit dem Rad – nur Schieben. Zwei Stunden lang. Allein mit dem Sand, dem Schmerz und der Frage, was zur Hölle ich hier eigentlich tue. Und dann, irgendwann, wieder Asphalt. Ein Ort. Ein Ziel. Dahme/Mark.
Empfangen werde ich vom ersten Vorsitzenden des TSV Empor Dahme e. V., Christoph Seydel – herzlich, offen, auf Augenhöhe. Ich darf im Vereinsheim übernachten, statt im Zelt, was sich an diesem Abend wie purer Luxus anfühlt. Tennis auf den Freiplätzen war leider noch nicht möglich – sie sind nach dem Winter noch nicht spielfertig. Und auch in der Halle konnte Christoph so kurzfristig niemanden mehr organisieren. Aber das macht nichts.
Zwischenstopp auf einer Elbbrücke: tM-Autor Benjamin Simon auf dem Weg Richtung Prag.
Denn was bleibt, ist der Kontakt. Die Gespräche. Die Wärme. Und das Gefühl, dass dieser Weg – so verrückt er auch sein mag – der richtige ist.
Tag 2: Von Dahme/Mark nach Dresden, TSV Blau-Weiß Blasewitz – Asphalt, Austausch und ein Ehrenplatz
Der zweite Tag beginnt mit neuer Klarheit – nicht nur am Himmel, sondern auch in meinem Kopf. Der gestrige Irrweg durch den märkischen Sand hat Spuren hinterlassen, aber auch Erkenntnisse. Heute fahre ich nicht mehr blind ins Off. Ich stelle mein Navi um – auf „Rennrad“ – und das macht einen gewaltigen Unterschied. Der Weg führt mich auf glatten Asphaltstraßen durch die stillen, wach werdenden Landschaften des Ostens.
Wieder liegt der Frühling in der Luft. Vögel zwitschern, als würden sie mein Vorhaben feiern. Die Sonne begleitet mich treu, wie ein leiser, stiller Freund. 120 Kilometer sind es bis Dresden – eine stolze Etappe, aber mein Körper beginnt, sich einzufinden in diesen Rhythmus aus Treten, Schauen, Spüren.
Am späten Nachmittag erreiche ich den traditionsreichen TSV Blau-Weiß Blasewitz, mitten in der sächsischen Hauptstadt. Dort wartet schon Thomas Völker, der Clubmanager des Vereins – interessiert und offenherzig. Es ist einer dieser Momente, in denen man spürt: Der Sport verbindet. Schnell sind wir im Gespräch, tauschen uns über meine erste Etappe aus, über Tennis in Brandenburg und Sachsen, über das, was vor uns liegt.
Ein paar Vereinsmitglieder gesellen sich dazu. Wir lachen, machen Fotos, reden über die kommende Saison. Es sind Begegnungen, die bleiben – gerade weil sie spontan sind. Auch hier sind die Plätze noch im Winterschlaf, kein Spiel möglich – aber das Gefühl, willkommen zu sein, ist das eigentliche Match des Tages.
Herzlicher Empfang in Dresden: tM-Autor Benjamin Simon zu Besuch beim Traditionsverein TC Blau Weiß Blasewitz.
Thomas überlässt mir für die Nacht das Gästehaus des Vereins – eine große Geste, die mich tief berührt. Nach einem Tag auf dem Rad fühlt sich das einfache Zimmer wie ein kleines Geschenk an. Ich dusche, sitze noch kurz auf der Bank vor dem Haus, blicke in den dunkler werdenden Himmel über Dresden.
Langsam wird klar: Diese Reise ist nicht nur ein Weg über Landkarten. Es ist eine Reise in Begegnungen, in Gesprächen – und in die stille Dankbarkeit, Teil dieser großen Tennisgemeinschaft zu sein.
Tag 3: Von Dresden nach Ústí nad Labem (Tschechien) – Höhenmeter, Herzlichkeit und ein Hotelbett
Der dritte Tag beginnt früh, und er beginnt mit dem Gefühl, dass sich langsam ein neues Tempo in mir einnistet. Es ist das Tempo des Reisens, nicht des Ankommens. Die Muskeln sind müde, aber bereit. Der Kopf ist klar, aber leise. Ich verlasse Dresden in Richtung Süden – auf nach Tschechien, nach Ústí nad Labem, meinem heutigen Ziel.
Die Strecke hat es in sich. Ich überquere die Ausläufer des Erzgebirges, spüre jeden Höhenmeter. Die Rampe wird zum Gegner, mein Körper zum Verhandlungspartner. Ich staune, wie schwer doch alles ist – das Fahrrad, der Anhänger, ich selbst. Und wie leicht der Blick über die Täler sich dann anfühlt, wenn man es geschafft hat.
Noch auf deutscher Seite, irgendwo im Nirgendwo, zwischen Hügel und Horizont, spricht mich ein Radfahrer an – Daniel. Er ist neugierig auf mein Projekt, und schnell sind wir im Gespräch. Die Welt ist klein, wenn man sie auf zwei Rädern durchquert. Daniel erzählt mir, dass er selbst einmal drei Jahre lang auf dem Fahrrad unterwegs war, quer durch die Welt. Wir fahren gemeinsam bis nach Petrovice auf tschechischer Seite, und er verabschiedet sich mit einem festen Händedruck und einem ehrlichen „Alles Gute“. Ich schaue ihm hinterher, wie er zurück in Richtung Dresden rollt. Und plötzlich ist es wieder still.
Um 15 Uhr erreiche ich den ersten Tennisverein in Ústí. Ich werde freundlich, aber bestimmt vertröstet – keine Schlafmöglichkeit, keine aktiven Spieler, kein Match. Also radle ich weiter – in der Hoffnung, beim nächsten Club mehr Glück zu haben.
Dort treffe ich auf Radim, der mir in gutem Englisch erklärt, dass aktuell Jugendspiele auf den Hallenplätzen stattfinden. Auch hier also keine Chance auf ein kleines Einspiel-Match. Als ich ihn nach einer Übernachtungsmöglichkeit frage, lächelt er entschuldigend: Er selbst schläft bereits im Clubhaus – kein Platz für zwei. Wir tauschen ein paar Worte, und obwohl auch hier kein Tennis möglich ist, bleibt mir Radim als jemand in Erinnerung, der ehrlich, höflich und direkt war – wie so viele, denen ich auf dieser Reise begegnen werde.
Erste Station in Tschechien: In Ústí nad Labem trifft unser Autor auf Radim.
Schließlich quartiere ich mich im Interhotel Bohemia ein – einem Hotel, das sich anfühlt wie eine Zeitreise zurück in die sowjetische Besatzungszeit. Marmorflure, schwere Vorhänge, ein Hauch vergangener Dekadenz. Und doch: ein Bett, eine Dusche, ein Dach über dem Kopf.
Ich falle ins Bett, müde, erschöpft, voller Bilder des Tages – von Rampen, Rädern, Menschen.
Fazit: Keine Dusche im Vereinsheim, kein Tennismatch, aber ein ehrliches Gespräch mit einem Fremden, der für ein paar Kilometer mein Begleiter war. Und ein Blick über die Berge, der mich daran erinnert: Die wirklich guten Aussichten gibt es nur nach einem Anstieg.
Tag 4: Von Ústí nad Labem nach Prag – von der Elbe an die Moldau
Morgens hängt feiner Nieselregen über dem Tal. Ich verlasse Ústí nad Labem früh, die Straßen glänzen feucht, die Stadt wirkt wie durch einen grauen Schleier betrachtet. Zunächst folge ich weiter dem Elberadweg – eine ruhige, gleichmäßige Strecke. Der Fluss bleibt mein stiller Begleiter, zieht sich gemächlich durch die Landschaft, während ich Meter um Meter sammle.
Doch irgendwo hinter Roudnice nad Labem entscheide ich mich um: Ich verlasse den Radweg, nehme die Bundesstraße – direkter, schneller, vielleicht nicht schöner, aber heute zählt das Vorankommen. Der Verkehr ist spürbar dichter, aber das Profil bleibt angenehm flach. Ich komme gut in einen Tritt. Gedanken sortieren sich, der Rhythmus trägt mich durch graue Ortschaften, über Brücken, vorbei an hupenden Autos und kleinen Tankstellen.
Die Hauptstadt kündigt sich an durch endlose Vororte, Straßenschilder mit Kilometerangaben, die erst einschüchtern, dann motivieren. Ich passiere Lagerhallen, Supermärkte, Schnellstraßen – bis plötzlich die Moldau auftaucht. Und da ist sie: Prag. Majestätisch, pulsierend, ein Kontrast zu den stillen Tagen davor.
Zeit ist Geld, doch auf Reise ist Zeit Strecke. Ich habe heute Kilometer gegen Atmosphäre eingetauscht – und doch gewonnen. Weil jede Straße, jede Entscheidung Teil dieser Reise ist.
Am Lawn Tennis Club Prag angekommen, rolle ich durch das schmiedeeiserne Tor, vorbei an gepflegten Sandplätzen und hinein auf die große Terrasse des Clubrestaurants Tiebreak. Es ist ein lebendiger Ort – großzügig, modern, mit Blick auf die Courts. Ich stelle mein Rad ab, trete ein und frage mich durch – auf Tschechisch, Deutsch, Englisch. Eine freundliche Bedienung bringt mich mit Vladislav Šavrda, dem Clubmanager, in Kontakt.
Im Lawn Tennis Club Prag: Treffen mit Clubmanager Vladislav Šavrda.
Kurze Zeit später kommt er an meinen Tisch. Ruhig, aufmerksam, offen. Wir wechseln ein paar Worte, er hört mir zu. Dann lächelt er, nickt – und stellt mir ohne großes Zögern das Gästezimmer des Clubs für die kommenden Nächte zur Verfügung. Vielen Dank, Vladislav Šavrda. Deine Gastfreundschaft macht diesen Tag unvergesslich.
Bevor er wieder verschwindet, bitte ich ihn noch um einen kleinen Gefallen: Ob es möglich wäre, für den morgigen Tag einen Spielpartner zu organisieren – jemanden aus dem Verein, der Lust hat, mit einem deutschen Radreisenden ein paar Bälle zu schlagen. Vladislav überlegt nicht lange. „Natürlich“, sagt er. Und plötzlich wird aus der Reise ein erster sportlicher Moment. Mein erstes Spiel auf tschechischem Boden steht bevor.
Tag 5: Prag – Begegnung mit einem Grand Slam-Champion
Ich wache erschöpft auf. Die Beine schwer, der Kopf dumpf, der Hals kratzt – als hätte sich der Körper in der Nacht heimlich entschieden, langsamer zu machen. Vielleicht war es der Regen der letzten Tage, der Fahrtwind, das ständige Draußensein. Vielleicht ist es einfach der Tribut an die ersten 400 absolvierten Kilometer.
Ich habe mich mit Vladislav für 10 Uhr zum Telefonieren verabredet. Pünktlich meldet er sich. Seine Stimme ruhig, organisiert, verlässlich. Um 15 Uhr, sagt er, habe er einen Spielpartner für mich – alles vorbereitet. Ich bedanke mich und spüre gleichzeitig: Dieser Tag gehört der Stadt.
Zeit ziehen. Kein Ziel, kein Druck. Nur Prag und ich.
Ich suche mir ein schönes Frühstückslokal. Setze mich ans Fenster, bestelle Kaffee und Rührei, beobachte das Treiben draußen. Es ist diese Mischung aus westeuropäischem Chic und osteuropäischer Ruhe, die Prag so besonders macht. Danach lasse ich mich treiben – durch kleine Gassen, über Plätze, hoch zur Prager Burg. Ich sehe das Land von oben, die Dächer, die Moldau, die Geschichte. Später gehe ich über die Karlsbrücke, zwischen Touristen, Straßenmusikern, Statuen. Ich bin mittendrin und doch ganz bei mir.
Gegen 14 Uhr bin ich zurück auf der Tennisanlage des ersten tschechischen Lawn-Tennis-Clubs Prag – ein Ort voller Geschichte und sportlicher Größe. Zahlreiche Tennisstars haben hier ihre Wurzeln, allen voran Markéta Vondroušová, Wimbledon-Siegerin von 2023. Der Geist des Spiels liegt spürbar in der Luft.
Ich ziehe mich um, wärme mich auf. Noch fühle ich mich angeschlagen, aber das Spiel ruft. Um 14:30 Uhr stellt mir Vladislav meinen Spielpartner vor: Emil Haisman. 75 Jahre alt. Ein feiner Händedruck, wache Augen – und eine Haltung, die sofort verrät: Hier steht ein Spieler. Seit seiner Kindheit ist er Teil dieses Clubs, ein Leben für den Tennissport.
Sandpartie in Prag: tM-Autor Benjamin Simon (re.) mit Spielpartner Emil Haisman.
Wir schlagen uns ein. Und schon nach wenigen Minuten wird klar: Emil hat nichts verlernt. Präzise Bälle, sichere Bewegungen, ein natürliches Ballgefühl. Es ist kein Wettkampf, sondern ein Gespräch mit dem Schläger. Und das Beste: Ich bin Teil davon.
Nach dem Spiel setzen wir uns ins Club-Restaurant Tiebreak, bestellen etwas zu trinken, kommen ins Gespräch. Emil erzählt mir von seiner Karriere, von Erfolgen in jungen Jahren – mit 18 war er unter den Top Ten in Tschechien – und von einem seiner besten Freunde: Jan Kodeš, geboren 1946, Grand-Slam-Sieger in Paris und Wimbledon, Legende des tschechischen Tennissports.
Und tatsächlich: Während wir unser Getränk genießen, betritt Jan Kodeš das Vereinsheim. Ein stiller Moment, fast ehrfürchtig. Emil ruft ihn herüber. Wir stellen uns kurz vor – ein kurzer Händedruck, ein Nicken. Ein großer Spieler, nahbar, ganz im Moment. Der Kreis schließt sich.
An diesem Tag spüre ich nicht nur meine Erschöpfung, sondern auch die Kraft des Sports. Begegnung. Geschichte. Gemeinschaft. Tennis ist hier nicht nur Spiel – es ist eine Lebenslinie. Und ich durfte für einen Nachmittag ein kleiner Teil davon sein.
Autor Benjamin Simon, der nun mit Rad und Racket unterwegs von Berlin nach Istanbul ist.
Infos zum Autor:
Benjamin Simon, 47, ist gebürtiger Berliner und lebt im Westend. Vater zweier Kinder. Tennis begleitet ihn seit seiner Kindheit, die geprägt war von Steffi Graf und Boris Becker. Spielt in der Herren-40-Mannschaft des LTTC Rot-Weiß Berlin (LK 13). Tennistrainer mit C-Lizenz. War im Facility Management tätig und leitete eine Dienstleistungseinheit mit bis zu 800 Mitarbeitenden. Nach Auflösung seines Arbeitsvertrags nutzt er nun die freie Zeit für ein einzigartiges Abenteuer: eine Radtour von Berlin nach Istanbul – mit Rad und Racket, um die Faszination des Tennissports über Grenzen hinweg zu erleben. Auf tennismagazin.de wird er regelmäßig über die Reise berichten.