Nicolas Kiefer: „Mein Anspruch ist Spitzensport”
Nicolas Kiefer gewann Olympia-Silber, stand in den Top 10 und besiegte Roger Federer. Wir haben „Kiwi“ zum Duell auf den Court gebeten und mit ihm über sein Leben nach der Karriere gesprochen.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 7/2019
Fotos: Florian Petrow
Es ist 9:30 Uhr morgens, als ich im Hannoverschen Tennis-Verein ankomme. Der Himmel glänzt in einem traumhaften Blau über der Anlage in der südlichen Eilenriede. Perfektes Wetter für eine Partie Tennis. Wenn da nicht die für Mitte Mai viel zu geringe Temperatur wäre – nur 10 Grad. Als langjähriger Punktspieler bin ich allerdings noch kälteres Wetter gewohnt. Die Vorfreude auf das Match ist groß. Mein Spielpartner ist kein Geringerer als Nicolas Kiefer (41): ehemals Nummer vier der Welt, Halbfinalist bei den Australian Open 2006 und Silbermedaillen-Gewinner bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen. Für Kiefer ist es ein Heimspiel. Er ist Hannoveraner durch und durch. Direkt nebenan, in der TennisBase Hannover, dem Bundesstützpunkt Nord des Deutschen Tennis Bundes, war er zuletzt einige Jahre als Nachwuchstrainer tätig. Zehn Minuten vor unserem geplanten Spieltermin erscheint Kiefer gut gelaunt in seinen selbst entworfenen Tennisklamotten. Auf seiner weißen Hose und seinem blau-grauen T-Shirt sticht der Kiwi (ein Vogel) hervor, das Nationaltier Neuseelands und gleichzeitig Spitzname von Kiefer.
„Bei euch in Hamburg brennt ganz schön der Baum“, sagt „Kiwi“. Unter Sportlern sind wir schnell beim „du“ angekommen. Was „Kiwi“ meint: der verpasste Aufstieg des Hamburger SV in die erste Fußball-Bundesliga. Kiefer ist großer Fußball-Fan. Sein geliebtes Hannover 96 ist am Wochenende aus der Bundesliga abgestiegen. Wir fachsimpeln über das bevorstehende Meisterschaftsfinale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund und machen uns auf dem Weg zum Centre Court der Anlage, auf dem in Hochzeiten bis zu 5.000 Zuschauer Platz fanden. Kiefer kennt sich im Verein bestens aus. Im HTV reifte er zum Weltklassespieler. Der Club kann auf eine ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken. Zwischen 1971 und 1996 spielte man insgesamt 22 Jahre lang in der Bundesliga und wurde zweimal Deutscher Meister. Zahlreiche Weltklassespieler wie Gottfried von Cramm, Boris Becker und Michael Stich schlugen hier auf, drei Davis Cup-Partien wurden auf der Anlage ausgetragen. Bevor die ersten Bälle zwischen uns fliegen, plaudern wir über Kiefers neue Projekte.
Du hast dein eigenes Modelabel gegründet. Wie ist es dazu gekommen?
Diese Idee hatte ich schon zu meiner aktiven Zeit im Kopf, wollte mich aber erst einmal voll und ganz auf meine Tenniskarriere konzentrieren. 2017 habe ich bei einem Golfturnier für die Nicolas Kiefer Charity zu Gunsten von Aktion Kindertraum mit dem Textilunternehmer Holger Gartz zusammengespielt. Ich habe ihm von meiner Idee erzählt. Er war gleich total begeistert und hat mich in seine Firma eingeladen. Wir haben gemeinsam ein Logo entworfen, den Kiwi, passend zu meinem Spitznamen, und NK als Schriftzug.
Was bietest du mit Kiwifash an?
Wir haben uns zunächst auf Freizeitbekleidung für Damen, Herren und Kinder beschränkt. Die Nachfrage war dann so groß, dass wir auch eine Tenniskollektion herausgebracht haben. Die Kollektion wird super angenommen. Ich freue mich immer riesig, wenn ich Leute in Kiwi-Klamotten sehe.
Du wohnst in Niedersachsen dein ganzes Leben. Was bedeutet Hannover für dich?
Hannover bedeutet Heimat für mich. Heimat ist Verbundenheit, Freunde, Mitmenschen, und Familie. Heimat ist ein Ort, an dem du dich zugehörig und geborgen fühlst. Für mich war es auch zu meiner Profizeit immer wichtig, mich dort aufzuhalten, wo ich mich wohlfühle. Es kam für mich nie in Frage, ins Ausland zu gehen, nur um Steuern zu sparen.
Dein Vertrag als Nachwuchstrainer im DTB-Bundesstützpunkt in Hannover wurde nicht verlängert. Wie ist es dazu gekommen?
Der Vertrag ist zum Ende des Jahres 2018 ausgelaufen. Wir haben uns zusammengesetzt und uns darüber unterhalten, wie und ob es weitergeht. Ich hatte andere Vorstellungen, da ich aus dem Profisport komme. Ich habe Ideen und Visionen, wie es funktionieren kann und welche Schritte man unternehmen muss, um nach oben zu kommen. Die Vorstellungen vom Leistungssport seitens der Geschäftsführung waren anders. Mein Anspruch ist Spitzensport und nicht Breitensport. Daher habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich unter diesen Voraussetzungen diese Zusammenarbeit nicht mehr fortsetzen möchte.
Du bist nun beim SSC Berlin tätig. Was sind deine genauen Aufgaben?
Der SCC Berlin kam auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich für die Jugendlichen arbeiten möchte. Der Verein ist für seine gute Jugendarbeit deutschlandweit bekannt. Das Konzept und die Gespräche seitens der Vereinsführung haben mich überzeugt. Die SCC-Kinder hatten leuchtende Augen und haben unglaublich viel Lust auf Tennis. Es gibt viele talentierte Kinder im SCC Berlin. Ich bin im regelmäßigen Austausch mit den Trainern, vor allem mit Headcoach Mats Oleen. Die besten Jugendlichen kommen zu mir. Wir überlegen uns Konzepte, nach denen die Jugendlichen trainieren sollen. Es hat vom ersten Tag an großen Spaß gebracht. Nebenbei wurde ich noch gefragt, ob ich in der Herren-40-Mannschaft spielen möchte. Als ich gesehen habe, dass unter anderem Björn Phau, Arnaud Clement, Magnus Larsson und Thomas Enqvist für die Mannschaft spielen, habe ich mit der Zusage nicht lange gezögert.
Es ist an der Zeit, die Schläger sprechen zu lassen. Die frischen Bälle springen etwas höher als gewöhnlich, fällt uns beiden schnell auf. Ich bin etwas nervös. Nicht jeden Tag bekommt man die Chance, mit einen ehemaligen Top Ten-Spieler zu spielen. Mach bloß keine komischen Schläge, sage ich innerlich zu mir. Die Anfangsnervosität löst sich aber schnell in Luft auf. Das Spieltempo von „Kiwi“ kommt mir entgegen, sodass ich seine Geschwindigkeit mit in meine Schläge nehmen kann. Wir schlagen uns knapp 20 Minuten die Bälle um die Ohren. Ich merke schnell: Umso besser ein Schlag von mir, umso besser ist die Antwort von „Kiwi“. Der Schweiß läuft. Also Zeit für eine Trinkpause. Ich möchte mehr über den Trainer Kiefer erfahren.
Wie würdest du deinen Trainingsstil bezeichnen?
Das Wichtigste für mich ist Disziplin. Ohne Disziplin kann man heutzutage ganz schwer etwas erreichen. Ich bin ein umgänglicher Trainer. Einige bezeichnen mich als harten Trainer. In einer Einzelsportart muss man aber hart sein. Ich versuche stets, eine Mischung zu finden, sodass die Jugendlichen hochmotiviert ins nächste Training kommen.
Hast du eine bestimmte Devise als Trainer?
Mein Motto ist Qualität vor Quantität. Das ist nicht nur beim Tennis der Fall, sondern auch bei meinem Modelabel. Qualität heißt beim Tennis, dass manchmal auch ein halbstündiges Training anstatt eines zweistündigem Training auf dem Platz ausreicht. Wichtig ist, dass in dieser halben Stunde alles gegeben und die Konzentration hoch gehalten wird.
Könntest du dir ein Engagement als Trainer auf der ATP-Tour vorstellen?
Es gibt immer wieder Anfragen zur Betreuung von Spielern, auch von meiner Agentur Octagon, wo ich unter Vertrag stehe. Derzeit bin ich mit meinem Engagement beim SCC Berlin und bei Robinson sehr gut ausgelastet. Außerdem möchte ich an meinen Golf-Handicap arbeiten, das derzeit bei 9,9 liegt. Grundsätzlich sollte man aber niemals nie sagen.
Du bist mittlerweile Markenbotschafter des Reiseanbieters Robinson.
Genau. Ich führe seit 2011 Tenniscamps für Robinson durch, bin viel in der Türkei, Spanien und Griechenland unterwegs. Ende letzten Jahres haben wir uns dazu entschieden, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Im Dezember war ich bei der Cluberöffnung in Jandia auf Fuerteventura dabei. Robinson-Urlaub bedeutet für mich ein Stück Heimat im Ausland, schönes Wetter, gutes Essen, herrlich angelegte Clubs und deutsche Mentalität. Für jeden Urlauber ist etwas dabei.
Nun spielen wir um Punkte. Wir einigen uns darauf, mit einem 11-Punkte-Spiel zu starten mit dem Zuspiel durch die Mitte. Bloß keine Geschenke verteilen ist die Devise. Mein Redaktionskollege Tim riet mir vorher, die Bälle mit Slice lang und tief auf seine Rückhand zu spielen, da er damit nicht viel anfangen kann. Das gelingt mir zwar nicht, aber ich schaffe es immerhin, ihn für die Punktgewinne arbeiten zu lassen. Es steht 6:5 für „Kiwi“, ich erhoffe mir noch mehr Punkte. Doch jeder längerer Ballwechsel geht nun an „Kiwi“. Der Satz geht mit 11:5 an ihn.
Du hast 2010 deine Karriere beendet. Hast du noch Kontakt mit ehemaligen Kollegen?
Ich habe gerade auf dem Weg hierher zur Anlage mit Marin Cilic gesprochen, mit dem ich noch viel Kontakt habe. Mit meinen ehemaligen Trainern Bob Brett und Thomas Högstedt bin ich immer wieder im Austausch. Durch meinen Wechsel zum SCC Berlin spiele ich nun mit alten Weggefährten in einer Mannschaft. Ein kleines Klassentreffen sozusagen.
Du hast mit 33 Jahren deine Karriere beendet. Heutzutage spielen die meisten Profis weitaus länger als 35. Bereust du im Nachhinein die Entscheidung?
Vor allem Federer ist die große Ausnahme. Er kann so lange spielen, weil er der Beste ist und weil er sich immer wieder Pausen nehmen kann, ohne dass es große Auswirkungen hat. Bei ihm reicht es, wenn er 14 Turniere pro Jahre spielt. Andere müssen auf 25 Turniere kommen. Das geht an die Substanz. Ich bereue meine Entscheidung nicht. Mein Plan war, 2012 bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. 2010 hatte ich eine Operation an der Leiste, von der ich mich nicht mehr richtig erholt habe. Mit Top 100 in der Weltrangliste war ich nicht zufrieden. Mein Anspruch war es, in den Top 20 zu stehen. Als das nicht mehr realistisch war, habe ich aufgehört.
Wie oft geistern noch die vier vergebenen Matchbälle im Doppelfinale bei den Olympischen Spielen in Athen durch den Kopf?
Abgeschlossen ist es nicht, da man ständig daran erinnert wird. Vielen Dank dafür (lacht). Natürlich war das bitter. Man sagt immer: Du gewinnst mit Gold, verlierst mit Silber und gewinnst mit Bronze. Im Nachhinein war es mein größter Erfolg, weil wir nicht davon ausgegangen sind, dass wir das erreichen können. Wenn es Gold geworden wäre, würden heute vielleicht nur wenige darüber reden. So ist es weiterhin ein Gesprächsthema. Dieses Match hat gezeigt, dass nichts unmöglich ist. Aufgeben gibt es nicht, egal, wie aussichtslos es ist. Auch bei 0:6, 0:4. Das versuche ich auch, meinen Talenten beizubringen.
Wenn du auf deine Karriere zurückblickst: Welches Match würdest Du gerne noch einmal spielen?
Neben dem Olympia-Finale in Athen wäre es das Halbfinale gegen Pete Sampras bei der ATP-WM 1999 zu Hause in Hannover. Ich habe 3:6, 4:6 verloren. Das Match in meiner Heimatstadt zu gewinnen, wäre eine feine Sache gewesen.
Zurück geht es auf den Platz. Wir spielen einen weiteren Elfer. Als „Kiwi“ dank eines Platzfehlers mit 3:1 in Führung geht, ruft er mit einem Augenzwickern über das Netz: „Das ist der Heimvorteil.“ Noch etwas geschwächt von einer Erkältung pumpe ich nach längeren Ballwechseln wie ein Maikäfer, während bei „Kiwi“ nur wenig Anstrengung zu spüren ist. Er wirkt austrainiert, so als ob er gerade seine Karriere beendet hätte. Auch der zweite Elfer geht erwartungsgemäß an ihn – mit 11:4.
Du bist mittlerweile begeisterter Marathonläufer. Was macht für dich die Faszination Marathon aus?
Ich wollte immer während meiner Tenniskarriere einen Marathon laufen. Aber das ging nicht, weil es eine völlig andere Belastung ist. Marathon macht die Beine langsam. Beim Tennis muss ich schnellkräftig sein. Marathon bedeutet für mich die große Herausforderung, an seine körperlichen Grenzen zu gehen. Das Nervige am Marathon ist das Training in den Monaten davor, bei dem man Kilometer fressen muss. Meine Bestzeit war 2013 mit 3:28:20. Im September laufe ich wieder in Berlin mit.
Was geht dir bei einem Marathon so durch den Kopf?
Am Anfang des Marathons bist du von der Euphorie getragen und hast ein super Gefühl. Da musst du aufpassen, dass du nicht zu schnell läufst. Irgendwann später stellt man sich die Warum-Frage, warum man sich das antut. Irgendwann kommt der Punkt so wie beim Tennis bei einem Grand Slam-Match nach drei Stunden, dass du nicht einfach aufhören kannst, sondern weiter Gas geben musst. Disziplin und Ehrgeiz spielen dann eine wichtige Rolle. Du musst dann noch einmal ans Limit gehen. Geht nicht gibt es nicht. Es ist alles ein mentales Spiel.
Was ist anstrengender: ein Marathon oder ein Fünfsatzmatch bei 30 Grad?
Für einen Marathon muss ich nur circa drei Monate trainieren und einen Marathon kann jeder laufen, aber an einem Grand Slam-Turnier kann nicht jeder teilnehmen. Um in ein Fünfsatzmatch zu kommen, was fünf Stunden dauern kann, ist jahrelange harte Arbeit nötig gewesen. Die Regeneration beim Tennis ist kürzer. Nach zwei Tagen spielst du bei einem Grand Slam-Turnier wieder, wenn du gewonnen hast. Nach einem Marathon bist du vom Kopf her über Wochen leer, dein Körper ist kaputt. Treppen runtergehen kann dir nach dem Marathon schwerfallen. Du hast fast eine Woche daran zu knabbern, vor allem bei mir, dessen Körper nicht für einen Marathon gebaut ist. (lacht)
Nun ist es an der Zeit, mit Aufschlag und Return zu spielen. Wir starten beim Spielstand von 2:2. Ich merke schnell, dass es ein völlig anderes Spiel ist, wenn man den Punkt mit einem Aufschlag beginnt, anstatt eines Zuspiels durch die Mitte. Kiefers große Stärke als Profi war neben der Fitness vor allem sein Aufschlag. In 612 Matches auf der ATP-Tour servierte er 4.158 Asse – Platz vier in der deutschen Bestenliste. Er beginnt mit Aufschlag. Gleich im ersten Ballwechsel bekomme ich den Unterschied zwischen einem Profi und einem Freizeitspieler eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Einen Vorhandcrossball von mir kontert „Kiwi“ mit einem Longlineschuss. Als ich kurz davor bin, Aus zu rufen, klatscht der Ball kaum zu überhören auf die Linie. Stark! Im nächsten Ballwechsel machen sich meine Qualitäten als Returnspieler bezahlt. „Kiwi“ serviert mit Kick auf meine Rückhand, stürmt ans Netz und wird von mir die Linie entlang passiert. Ein Punktgewinn zum Einrahmen für mich. Was folgt: ein Ass durch die Mitte, bei dem die Linie erneut staubt und ein krachender Vorhandwinner. 40:15 für ihn. Ich schaffe es dennoch über Einstand, auch weil mir keine Fehler unterlaufen. Ich schnuppere am Break, doch der Spielgewinn zum 3:2 geht schließlich an „Kiwi“, der in solchen Situationen genau weiß, was er zu tun hat. Nun darf ich aufschlagen, besser gesagt: Ich muss aufschlagen. Denn der Aufschlag, vor allem der Ballwurf, gehört nicht zu meinen Stärken. Trotz einer längeren Einspielphase mit Aufschlag unterlaufen mir zwei Doppelfehler. Ich verliere das Spiel zu null. 4:2 für Kiefer – und eine kurze Erholungspause.
Wie beurteilst du die Situation im deutschen Tennis?
Im Damentennis stehen wir mit Angelique Kerber und Julia Görges noch ganz gut da. Bei den Herren überstrahlt Alexander Zverev alles. Er ist für mich nach wie vor ein Spieler, der langfristig gesehen die großen Turniere gewinnen und Nummer eins der Welt werden kann. Er hatte eine Phase, in der viele Puzzleteile nicht zusammenpassten. Zum Spiel gehört nicht nur das Tennis, sondern die Athletik, Psyche und die vielen, vielen Dinge drumherum dazu.
Muss man sich Sorgen machen um die Zukunft im Damentennis? Hinter Kerber und Görges emtsteht eine Lücke.
Sorgen muss man sich nicht nur bei den Damen machen, sondern auch bei den Herren, wenn man sieht, welch gute Nachwuchsarbeit in anderen Nationen geleistet wird.
Wie ist deine Meinung zu Rudi Molleker?
Ich habe mit Rudi hier in Hannover trainiert. Er ist technisch ein sehr guter Spieler. Zuletzt hat er sich kritisch gegenüber dem Deutschen Tennis Bund geäußert. Er hat etwas gesagt, was er in einigen Jahren vielleicht nicht gesagt hätte. Rudi ist ein guter und talentierter Junge. Er bringt aber auch eine andere Mentalität mit. Er hat nicht die deutsche Mentalität, genauso wie ein Zverev oder eine Kerber. Es ist auffällig, dass sehr viele deutsche Spieler ohne Migrationshintergrund etwas verwöhnt sind und nicht so sehr an ihre Grenzen gehen. Für Erfolg muss man arbeiten. Erfolg fällt nicht einfach vom Baum. Das ist eine blöde Floskel, aber so ist es nun einmal.
Braucht es Regeländerungen im Tennis?
Wenn man über eine Regel diskutieren kann, dann ist es die mit der Wiederholung des Netzaufschlages. Vor allem auf kleineren Turnieren ohne einen Netzsensor würden bei Abschaffung der Netzregel sämtliche Diskussionen wegfallen. Das Hawk-Eye ist generell eine gute Sache, bei der die Zuschauer mit eingebunden werden, auf Sand braucht man es nicht. Trotzdem ist Tennis ein Sport mit viel Tradition und Geschichte. Ein bisschen Tradition sollte in unserem Sport auf jeden Fall bewahrt werden.
Apropos Tradition: Der Davis Cup wird dieses Jahr erstmals in einem Finalturnier gespielt. Was hältst du von der Reform?
Ich glaube, dass sich die ITF mit der Reform ein Eigentor geschossen hat. Ich mag den neuen Modus nicht. Für kleinere Länder ist es eine Riesenchance, um auf sich aufmerksam zu machen. Das haben sich diese Länder auch verdient. Andererseits wird der Wert des Davis Cups abnehmen. Ich finde es fragwürdig, wenn Personen aus einer anderen Branche ohne Expertise (Anmerkung, d. Red.: gemeint ist Gerard Piqué) plötzlich mitreden wollen. Letztendlich geht es nur noch ums Geld und der Sport leidet darunter.
Weiter geht’s. Mein Blick geht zu Kiefers linken Oberarm. Dort ist „Mabelle“ zu lesen: der Name seiner 2010 geborenen Tochter. Auch im nächsten Aufschlagspiel von Kiefer schnuppere ich am Break. Es geht zweimal über Einstand. Doch auf Schläge von mir, die meine regulären Gegner in der Bezirksliga in große Bedrängnis gebracht hätten, findet „Kiwi“ stets die passende Antwort. Einen Passierballversuch kontert er mit einem gefühlvollen Volleystopp. Es steht 5:2. Der kurioseste Punktgewinn ist jedoch für mich reserviert. Ichl treffe eine Vorhand mit dem Rahmen. Der Ball plumpst kurz cross unerreichbar ins Feld. Ein klassischer Schlag, den nur Amateure im Repertoire haben und den man nicht trainieren kann. Ein Spielgewinn bleibt mir trotz aller Anstrengung verwehrt. Wenig später steht es 6:2 für „Kiwi“. Unser Match ist beendet. Er stellt treffend fest, dass ich aus der Bedrängnis meist die besten Schläge mache und ein Konterspieler bin. Es hat großen Spaß gebracht. Sein Motto „Qualität vor Quantität“ hat auf diese lehrreiche Stunde voll zugetroffen.
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