Ons Jabeur im Porträt: Die Glücksministerin
Ons Jabeur hat sich in den vergangenen Jahren in die Weltspitze gesiegt. Sie verzückt mit variablem Spiel und guter Laune. Nun will die Tunesierin die Nummer 1 werden.
Erschienen in Ausgabe 11-12/2022.
Eine Politikerin oder ein Politiker, der nur für gute Laune und die pure Glücksseligkeit verantwortlich ist – es wäre eigentlich eine feine Sache hier in Deutschland. Eine Person, die abends in Talkshows auftritt und Frohsinn, Optimismus, Lust am Leben verbreitet. Wo wir doch angeblich nur dieses eine haben.
Ons Jabeur wäre prädestiniert dazu, aber sie ist leider schon vergeben. „Minister of Happiness“ wird sie in Tunesien genannt, die „Ministerin des Glücks“. Vor ein paar Jahren sei man in ihrer Heimat damit um die Ecke gekommen, erzählte sie kürzlich, und es sei vor allem deshalb lustig, weil sie in Tunesien von offizieller Seite bereits mit „Hallo, Ministerin“ gegrüßt werde. Es sei nicht alles so leicht in ihrem Land, „aber die Leute denken, wenn sie meine Matches sehen, bringe ich Glück. Deshalb nennen sie mich so.“
Ons Jabeurs Lieblingsschlag
Schaut man Ons Jabeur beim Tennisspielen zu, versteht man das nur zu gut. In Zeiten des Hochgeschwindigkeitstennis, in denen es meist nur darum geht, wer schneller auf den hilflosen Tennisball einprügeln kann, ist Jabeur eine willkommene Abwechslung. Speziell nach den Rücktritten von Ashleigh Barty (ebenfalls so eine Glücksministerin in Australien) und Roger Federer (Glücksminister der Schweiz). Jabeur nämlich spielt das etwas andere Tennis, so wie es sich die Tennisgötter womöglich ausgedacht hatten damals, mit der gesamten Palette an Schlägen, die es so gibt, und vielleicht besteht ja auch ein Zusammenhang zwischen variablem Tennis, dem Spaß daran und dem Glück. Jabeurs Lieblingsschlag ist natürlich der Stopp, mit dem sie an guten Tagen so ziemlich jede Gegnerin verzweifeln lässt. So kurz ist der Ansatz, so versteckt packt sie ihn aus, zumal sie auch den gepflegten Rückhand-slice im Repertoire hat, und manchmal, so scheint es, selbst erst kurz vorm Schlag zu denken scheint: „Och, wieso eigentlich kein Stöppchen?“
Ons Jabeur beim Tennisspielen zuzuschauen, begeistert seit dem Beginn des Jahres 2020 eine immer größer werdende Fanschar. Damals hatte sie bei den Australian Open den Durchbruch auf der Weltbühne geschafft, wurde für viele Tennisfans, die bislang allenfalls mal ihren Namen aufgeschnappt hatten, zum Begriff. Jabeur, auf Platz 78 der Welt notiert, nahm vier Top 50-Gegnerinnen aus dem Turnier, verabschiedete Caroline Wozniacki in den Ruhestand, knackte ihrerseits erstmals die magische Grenze der besten fünfzig Spielerinnen der Welt. Und spielt sich seither stetig weiter nach oben, zuletzt bis auf Platz zwei im WTA-Ranking.
Ons Jabeur: „Gehöre in die Top Ten“
Mit Ansage übrigens: Jabeur hatte Ende 2019 den „Arab Woman of the Year Award“ für ihre Errungenschaften im Sport abgeräumt und angekündigt, für das kommende Spieljahr noch härter an sich zu arbeiten, fitter und besser zu werden. Dabei half es, dass Jabeur mit Karim Kamoun verheiratet ist, ein Ex-Fechter, der nach seiner aktiven Laufbahn zum Sportwissenschaftler und Fitnesscoach wurde und sich um die konditionellen Belange seiner Gattin kümmert. „Es war ein bisschen nach dem Motto: ‚Ich bin es satt, immer in der ersten Runde zu verlieren. Ich gehöre in die Top Ten‘“, blickt Jabeur auf jene Zeit zurück. „Ich habe auch begonnen, mehr an mich zu glauben.“
Auch Tunesien ist dank Jabeur auf der Tennislandkarte angekommen, und Jabeur will nicht nur für sich siegen, sondern für ihr Land. „Die Leute in Tunesien sind wirklich wunderbar. Ich schätze ihre Unterstützung sehr“, sagt sie. Das konnte man im Sommer auch in Deutschland erleben. Beim Rasenturnier in Berlin war eigentlich Iga Swiatek als großer Publikumsmagnet angedacht. Die Polin aber sagte kurz vor Turnierbeginn ab. Also lief eine Woche lang die Ons-Jabeur-Show vor begeisterten Zuschauern – viele davon mit tunesischen Flaggen ausgerüstet und am Feiern. In ihrer Heimat singe und tanze man eben gerne, sagte Jabeur, die am Ende den Titel gewann. Neben dem Spaß will Jabeur aber auch als Vorbild für den Tennisnachwuchs herhalten. Schon als Kind habe sie davon geträumt, arabische Frauen zu dem Gedanken zu inspirieren, dass nichts unmöglich sei. „Egal, in welchem Bereich, ob im Sport oder woanders: Es fängt immer mit dem Traum an“, weiß sie.
Ons Jabeur: Der Kampf um die Spitze
Jabeurs Traum selbst begann mit drei Jahren, als ihre Mutter, eine Hobbyspielerin, sie zum Tennis brachte. Mit zwölf zog sie in die Hauptstadt Tunis, um im nationalen Sportcenter trainieren zu können. Später ging es weiter nach Frankreich und Belgien. Ihre Eltern, so sagt sie, hätten viel dafür geopfert. „Meine Mutter hat mich überall in Tunesien hingefahren, um an Turnieren teilzunehmen. Sie hat mich ermutigt, auf eine spezielle Schule zu gehen, um dort zu lernen.“ Und das für die Verwirklichung eines Traums, der natürlich nicht garantiert ist. „Aber sie hat an mich geglaubt und mir das Selbstvertrauen gegeben.“ 2011 gewann Jabeur den Juniorinnentitel bei den French Open (als erste arabische Spielerin), 2012 spielte sie mit 17 Jahren ihr erstes WTA-Turnier (dank einer Wildcard). Erst 2017 aber gelang ihr der erstmalige Einzug unter die Top 100. 2021 der erste Turniersieg auf WTA-Ebene und kurz darauf der Einzug in die Top Ten (als erster arabischer Tennisprofi überhaupt).
Mittlerweile kämpft Jabeur um die Weltranglistenspitze. In Wimbledon und bei den US Open zog sie in ihre ersten beiden Grand Slam-Finals ein; speziell auf Rasen, Stichwort Spielwiese, packte sie ihre großen Stärken aus, das Publikum hatte sie ohnehin auf ihrer Seite. Im Wimbledon-Halbfinale besiegte sie ihre gute Freundin Tatjana Maria und zerrte diese anschließend noch mal für eine Runde Extra-Applaus auf den Platz. Im Finale aber verkrampfte sie, verspielte sich zu oft und verlor gegen Elena Rybakina – was sichtlich an ihr nagte. Typisch Jabeur: Die Presserunde im Anschluss machte sie dennoch zu einer denkwürdigen Angelegenheit. Während des Matches habe sie alles versucht, erzählte sie, zwischenzeitlich habe sie sogar „Ich liebe dich“ zu sich selbst gesagt. Es hatte eben nicht sollen sein. Als Handyhintergrund hatte sich Jabeur während des Wimbledonturniers die Siegerinnen-Trophäe eingestellt, die Venus Rosewater Dish, „jetzt mache ich wieder das Foto meiner Nichte drauf.“
Motto wie Bob Marley: „Don‘t worry, be happy“
Und als ihre Fans nach den TV-Interviews (etwas erhöht auf einem Balkon) so laut jubelten, marschierte sie einfach die Treppe nach unten, mischte sich unter die Menge, schrieb Autogramme und posierte für Selfies. Sie liebe es, mit Menschen zusammen zu sein, betont Jabeur gerne, sie ist auch unter ihren Kolleginnen beliebt wie kaum eine andere Spielerin. „Ich bin ziemlich albern, ich mache die ganze Zeit Witze“, sagt sie über sich. Auch bei den US Open reichte es am Ende nicht, hier verlor sie gegen Swiatek, als Nummer eins der Welt aktuell das Maß der Dinge und spielerisch ein schöner Kontrast zu Jabeur. Womöglich ein feines Duell um die Nummer eins im kommenden Jahr? Denn da will Jabeur hin, wie sie in New York erklärte. „Ich habe das Gefühl, dass ich in der kommenden Saison einiges zeigen kann.“
So bitter die Finalniederlagen waren, Jabeur verließ sowohl Wimbledon als auch New York mit einem Lächeln. Ob sie – als Glücksministerin – auch Wimbledon glücklich verlasse, war Jabeur in London gefragt worden, und natürlich zögerte sie nicht lange. „Ich bin immer glücklich“, antwortete Jabeur und zog gleich den Transfer zum berühmtesten Reggae-Sänger der Welt. „Hat ja auch Bob Marley gesagt: ‚Don‘t worry, be happy.‘“ ◯
Vita Ons Jabeur
Die Tunesierin, 28, gewann als Juniorin die French Open. Sie brauchte einige Jahre, um als Profi durchzustarten. Erst mit 23 Jahren erreichte sie die Top 100. Der große Durchbruch gelang ihr im Jahr 2021, als sie ihren ersten WTA-Titel gewann und in die Top 10 einzog. In diesem Jahr erreichte sie die Finals in Wimbledon und bei den US Open und stieß im WTA-Ranking bis auf Platz zwei vor. Jabeurs großes Vorbild ist Andy Roddick, vor allem wegen seines Aufschlags und seines Humors.
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