Tennis: French Open

Siegesgebrüll: Lois Boisson nach ihrem Erfolg gegen Jessica Pegula bei den French Open 2025. Bild: IMAGO / Imagn Images

Tennis-Märchen geht weiter: Die Nummer 361 der Welt steht im Halbfinale von Paris

Vor einem Jahr erlebte Lois Boisson ihren sportlichen Tiefpunkt. Jetzt steht sie als erste Französin seit elf Jahren im Halbfinale der French Open.

Als 2024 das Grand Slam-Turnier von Roland Garros lief, wollte sich die Französin Lois Boisson die Matches nicht einmal im TV anschauen. Ihr war die Lust gründlich vergangen, denn eigentlich hätte sie dort selbst mitspielen sollen. Stattdessen humpelte sie auf Krücken durch die Gegend. Tennis war plötzlich ganz weit weit.

Ein Jahr später nun, als Weltranglisten-361., steht Lois Boisson, 22 Jahre alt, plötzlich im Halbfinale der French Open. Auch wenn man es nicht mehr hören mag, aber solche Geschichten schreibt tatsächlich nur der Sport.

Lois Boisson mit Sand-Siegesserie 2024

Kurzer Rückblick ins Frühjahr 2024: Lois Boisson gewann auf Sand 19 von 20 Matches bei kleineren ITF-Events und bekam eine Wildcard für ein 125er-Turnier in Saint Melo. Sie erreichte dort das Endspiel, das sie gegen Anna Bondar verlor. In der Weltrangliste stand sie danach so hoch wie noch nie: Platz 152.

Der französische Tennisverband belohnte ihre tollen Leistungen mit einer Wildcard für die French Open 2024. Boissons Traum ging in Erfüllung: Als Fan von Rafael Nadal sieht sie sich als Sandplatzspezialistin und nichts will sie mehr, als endlich beim größten Sandplatzturnier im Stade Roland Garros auf dem Court zu stehen. Sie spielte noch ein Vorbereitungsturnier – und riss sich in der ersten Runde das Kreuzband im linken Knie. Neun Monate fiel sie aus.

Erst im Februar 2025 ist sie auf die Tour zurückgekehrt. Beim Sandplatz-Turnier von Rouen geriet sie unfreiwillig in die Schlagzeilen, weil ihre Gegnerin der ersten Runde, Harriet Dart, sich tatsächlich bei der Stuhlschiedsrichterin über ihren Körpergeruch beschwerte: „Können Sie ihr sagen, dass sie ein Deodorant benutzen soll? Denn sie riecht wirklich schlecht.“

Darts Beschwerde schaffte es in die Wolrd-News aller einschlägigen Websites. Boisson reagierte mit Humor. Sie postete auf Instagram ein Foto von sich auf dem Platz mit einem ins Bild eingefügten Deo einer bekannten Marke in der Hand, markierte das Unternehmen und schrieb: „Brauchen anscheinend eine Zusammenarbeit.“

Danach verlor sie als Titelverteidigerin von Saint Melo in der ersten Runde und rutschte bis auf Platz 513 im Ranking ab. Erst ein Sieg beim ITF-Turnier in Saint-Gaudens brachte ihr das aktuelle Ranking ein. Als Nummer 361 der Welt bekam sie dann erneut eine Wildcard für die French Open – und diese Mal wurde ihr Traum wirklich wahr.

Gleich zu Beginn warf sie mit Elise Mertens (WTA# 24) eine erfahrene Top 50-Spielerin aus dem Turnier. Danach schlug sie Anhelina Kalinia und ihre Landsfrau Elsa Jacquemot. Es folgte der größte Sieg ihrer Karriere: 3:6, 6:4, 6:4 gegen Jessica Pegula, Nummer drei der Damen-Weltrangliste. Es folgte: Ein 7:6, 6:3-Sieg gegen das russische Supertalent Mirra Andreeva.

Lois Boisson ist damit die am niedrigsten platzierte Spielerin in einem Grand Slam-Halbfinale seit Beginn der Open Era 1968. Historisch auch: Als erste Wildcard-Spielerin der Open Era erreichte Boisson die Runde der letzten Vier in Paris. Und weil Roland Garros 2025 ihre Grand Slam-Premiere ist, verbuchte sie noch eine weitere Bestmarke, denn nur zwei andere Spielerinnen rückten bei ihrem Major-Debüt auf Anhieb ins Halbfinale vor: die 15-jährige Monica Seles 1989 und die 14-Jährige Jennifer Capriati 1990, beide ebenfalls in Paris.

Seles und Capriati waren damals schon jeweils große Versprechen für die Zukunft. Alle gingen fest davon aus, dass die beiden ganz oben würden mitspielen werden. Und so kam es dann ja auch. Boisson war einst ebenfalls als großes Talent gehandelt worden. Doch ein Grand-Slam-Halbfinale? Damit konnte nun wirklich niemand rechnen.

Lois Boisson: Frankreichs neue Nummer eins

Gleichzeitig ist Boisson die erste Französin im Halbfinale von Roland Garros seit 2011. Damals kam Marion Bartoli so weit. Und sie ist die jüngste Französin in einem Grand Slam-Halbfinale seit Amelie Mauresmo, die 1999 unter die letzten Vier von Melbourne kam (und sogar das Endspiel erreichte). Mauresmo ist nun die Turnierdirektorin in Roland Garros und freute sich überschwänglich über den Erfolgslauf ihrer Landsfrau: „Das ist eine fantastische Nachricht für das französische Tennis. Niemand hat mit so etwas gerechnet. Was sie auf dem Platz zeigt, ist außergewöhnlich. Ihr Tennis befindet sich auf einem sehr hohen Niveau. Besonders beeindruckend ist, wie ruhig sie mit dem Druck umgeht, obwohl sie noch wenig Erfahrung hat.“

Boisson wird nach French Open nun die neue französische Nummer eins der Damen sein. Um mehr als 300 Plätze wird sie im Ranking hochschießen und sich in den Top 60 wiederfinden. Was für ein rasanter Aufstieg, der mehr oder weniger aus dem Nichts kommt.

Nicht nur für die Franzosen ist der unerwartete Siegeszug ihrer Landsfrau die Geschichte des Turniers. Boisson selbst nahm die große Überraschung zunächst mit einer gewissen Sachlichkeit hin. Natürlich sei das alles „unglaublich“, aber sie hoffe darauf „weitere Matches zu gewinnen“, stellte sie gleich zu Beginn ihrer Pressekonferenz nach dem Viertelfinalsieg klar. Danach schlug die Andreeva und rückte ins Halbfinale vor.

Auch danach beteuerte sie, dass nun noch längst nicht Schluss sei und sie sich weiter voll auf das Turnier konzentrieren würde: „Ich bleibe in meiner Zone. Ich fokussiere mich auf das Turnier und denke gar nicht darüber nach, was um mich herum passiert. Ich schaue auch nicht in die sozialen Medien. Das mache ich dann nach dem Turnier.“

Lois Boisson: Auf Sand am glücklichsten

Sie hätte durch das Training mit einigen Top 50-Spieler im Vorfeld von Roland Garros das Gefühl bekommen, „das nötige Level zu haben, um solche Gegnerinnen auch zu schlagen“, führte sie weiter aus. Außerdem sei sie auf roter Asche groß geworden und sehe sich schon als Sandplatz-Spezialistin: „Sobald die Sandplatz-Saison beginnt, bin ich am glücklichsten.“ Im Halbfinale trifft sie nun auf Coco Gauff .

Sie wird wie gegen Jessica Pegula und Mirra Andreeva wieder um jeden Ball kämpfen, von der Grundlinie viel mit Topspin- und Slice-Schlägen variieren und von 15.000 euphorischen Fans durch das Match getragen werden. „Wer weiß, was noch drin ist. Vielleicht gewinne ich ja das Turnier“, kündigte Boisson an.