US Open: Hart, härter, Sabalenka
Der Hartplatz ist ihr Element. Nach den Australian Open gewann Aryna Sabalenka in diesem Jahr auch die US Open und schaffte damit ein seltenes Double.
Nicht schon wieder. Das dachte sich Aryna Sabalenka, als sie im Finale der US Open gegen Jessica Pegula bereits eine Hand an der Siegerinnentrophäe hatte. Die 26-Jährige führte mit 7:5, 3:0, ehe Pegula fünf Spiele in Folge gewann. „Ich habe mir dann gesagt: ‚Nein, nein, Aryna. Das passiert nicht noch einmal‘“, sagte Sabalenka. Was sie damit meinte? In den drei Jahren zuvor bei den US Open gab die Belarussin sicher geglaubte Siege aus der Hand: in den Halbfinals 2021 und 2022 und im Vorjahr im Finale gegen Coco Gauff.
Auch diesmal spielte Sabalenka nicht nur gegen ihre Gegnerin, sondern auch gegen das New Yorker Publikum, das Landsfrau Pegula zu deren ersten Grand Slam-Titel nach vorne peitschen wollte. „Natürlich haben die Zuschauer für sie gejubelt, aber wie können sie ihr dabei helfen, das Match zu gewinnen? Nur wenn ich es zulasse, dass sie in meinen Kopf gelangen, ich mich dann selbst verliere und durchdrehe“, erzählte sie. Diesmal lief es anders. Aus dem 3:5-Rückstand ballerte sich Sabalenka zum 7:5 und damit zum US Open-Titel. Die Belarussin ist die fünfte Spielerin, der das Hartplatz-Grand-Slam-Double in einem Jahr gelang: Triumphe bei den Australian Open und US Open.
Sabalenka: Keine schlug schneller bei den US Open
Der Coup von New York unterstrich, was ohnehin ein offenes Geheimnis auf der WTA-Tour ist. Was Iga Swiatek auf Sandplatz ist, das ist Sabalenka auf Hartplatz – die unangefochtene Nummer eins. Auf Hartplatz (14 ihrer 16 WTA-Titel gewann sie auf diesem Belag) kommt das kompromisslose Spiel von „Miss Power Play“ am besten zur Geltung. Mit ihrer Schlaggewalt erdrückt die 26-Jährige ihre Gegnerinnen förmlich und lässt ihnen kaum Zeit zum Atmen. Als sie ihr Halbfinale gegen die US-Amerikanerin Emma Navarro gewann, zeigte die Statistik eine Vorhandgeschwindigkeit von 129 Stundenkilometer an: Turnierbestwert bei Damen und Herren! Auch Carlos Alcaraz (127 km/h) und Jannik Sinner (126 km/h) kamen nicht heran. Unabhängig vom Spielstand zieht Sabalenka ihr Offensivtennis gnadenlos durch. Auffällig bei ihrem Triumph bei den US Open war, dass sie den Rückhand-Slice in ihr Repertoire aufgenommen hat und diesen zwar selten, wenn dann aber meist taktisch klug einsetzte.
Auf dem Platz ist die Belarussin eine Kämpferin, die ihren Emotionen freien Lauf lässt. Ist das Match zu Ende gespielt, kommt sofort die andere Seite von ihr zum Vorschein: sanft und humorvoll. Ihre Art, die Dinge stets positiv zu betrachten, haben ihr extrem dabei geholfen, mit bitteren Niederlagen und Schicksalsschlägen umzugehen. Und davon gab es bereits einige in dem noch jungen Leben von Sabalenka. „Harte Niederlagen machen mich nicht depressiv. Es motiviert mich noch mehr, zurückzukommen und es noch mal zu versuchen. Härter an Dingen zu arbeiten, die in der Vergangenheit vielleicht nicht funktioniert haben“, sagte sie über ihre Einstellung.
Das Jahr 2024 ist für Sabalenka ein Wechselbad der Gefühle. Zu Beginn der Saison siegte sie bei den Australian Open eindrucksvoll ohne Satzverlust. Zwei Monate später, vor Beginn des Masters-Turniers in Miami, nahm sich ihr Ex-Freund Konstantin Koltsov, ein ehemaliger Eishockey-Profi, das Leben. Koltsov sprang von einem Hotelbalkon in Miami in den Tod. Die beiden hatten sich wenige Wochen zuvor getrennt. Sabalenka sprach von einer „undenkbaren Tragödie“ und einem „gebrochenen Herz“.
Sabalenka: Verletzungsauszeit kommt zur richtigen Zeit
Trotz des Schicksalsschlags trat sie beim Turnier in Miami an. Tennis sollte wieder einmal Balsam für die Seele sein. So wie schon im Jahr 2019, als plötzlich ihr Vater Sergey im Alter von 43 Jahren verstarb und sie sich keine Pause nahm. Doch diesmal lief es völlig anders, diesmal half Tennis nicht gegen den Kummer. „Als ich meinen Vater verloren habe, hat Tennis mir dabei geholfen, diesen schweren Verlust durchzustehen. Als mein Ex-Freund starb, dachte ich, dass ich einfach weitermachen müsste, weiter spielen, mein Ding durchziehen, um mein Privatleben von meiner Karriere trennen. Letztendlich würde ich sagen, dass ich gesundheitlich stark zu kämpfen hatte, weil ich nicht aufgehört habe zu spielen. Es war emotional und ziemlich stressig und hat zu diesem Zeitpunkt meine mentale Gesundheit beeinträchtigt. Es wäre sicherlich besser gewesen, einen Schritt zurück zu machen, mich neu aufzuladen und von Neuem zu beginnen“, sagte sie vor dem US Open der englischen Tageszeitung Guardian.
Die Schulterverletzung, die sich Sabalenka in der Rasensaison zuzog und schließlich zu ihrer Absage in Wimbledon führte, hatte rückblickend viel Gutes. „Ich begriff durch die Verletzung, dass dieser Schritt zurück genau das war, was ich brauchte. Es war natürlich traurig, auf Wimbledon zu verzichten, aber gleichzeitig konnte ich in der Reha mein Leben genießen mit all den guten Aspekten, wenn man nicht ständig auf der Tour unterwegs ist“, sagte sie. Ein wichtiger Faktor zum seelischen Wohlbefinden ist auch ihr neuer Freund Georgios Frangulis, Gründer der Firma Oakberry, die sich auf gesundes Fast Food spezialisiert hat, für das Sabalenka als Testimonial aktiv ist.
„Wir haben den Vertrag unterschrieben, uns dann kennengelernt und sind dann irgendwie zusammengekommen“, sagte sie über die Beziehung mit dem Brasilianer. Nach ihrem Sieg bei den US Open posierte sie mit ihrer Trophäe und küssend mit Frangulis im Arthur Ashe Stadium.
Jessica Pegula: Die ehrgeizige Milliardärstochter
Sabalenka war auch die Spielverderberin für Jessica Pegula auf dem Weg zu einem zuvor für nicht möglich gehaltenen fast perfekten Hartplatzsommer der US-Amerikanerin. Pegula gewann das Masters-Turnier in Toronto und verlor anschließend die Finals beim Masters-Turnier in Cincinnati und auch bei den US Open gegen Sabalenka. In New York beendete die 30-Jährige ihren kleinen Grand Slam-Fluch. Sechsmal hatte sie zuvor bei einem Grand Slam-Turnier das Viertelfinale erreicht, sechsmal scheiterte sie dort, teilweise unglücklich. Bei den US Open schlug endlich ihre große Stunde. Im Viertelfinale besiegte sie die Weltranglistenerste Iga Swiatek deutlich, im Halbfinale drehte sie einen 1:6, 0:2, 30:40-Rückstand gegen die Tschechin Karolina Muchova. Ihr Erfolgslauf bis beinahe zur US Open-Siegerin rückte dann auch das Topthema wieder in den Fokus, immer wenn von Jessica Pegula die Rede ist: ihr Leben als Milliardärtstochter. Das Privatvermögen von ihrem Vater Terry, Besitzer des American-Football-Teams Buffalo Bills sowie des Eishockey-Teams Buffalo Sabres, wird auf 7,7 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Die große Frage, die Pegula stets begleitet: Warum tut sie sich das teils nicht sonderlich glamouröse Leben als Tennisprofi überhaupt an? „Ich war immer ehrgeizig, schon vor dem ganzen Geld meiner Eltern. Ich bin nicht nur die Tochter eines reichen Vaters, ich bin eine eigenständige Tennisspielerin.“ Pegula findet, dass sie eine Verantwortung dafür trage, ihren monetären Vorteilen gerecht zu werden: „Ich habe diese unglaubliche Chance bekommen. Warum sollte ich sie nicht wahrnehmen, wenn ich wirklich liebe, was ich mache? Ich habe mir das Leben, das ich führen sollte, nicht ausgesucht. Man wird gewissenmaßen hineingeboren. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht.“ Sie merkt aber auch, dass sie aufgrund ihres Hintergrunds weniger Fans hat und die Zuschauer sie nicht so unterstützen wie andere Spielerinnen. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute nicht mit mir mitfiebern wollen, weil es bei mir keine märchenhafte Erzählung, keine Cinderella-Story gibt“, erklärt sie.
Emma Navarro: Neuestes Top-10-Mitglied
Ein Schicksal, das sie mit Emma Navarro teilt, die in New York heimlich, still und leise ihren Aufstieg auf der WTA-Tour weiter fortsetzte. Bei ihrem überraschenden Vorstoß bis ins Halbfinale besiegte die 23-jährige unter anderem Titelverteidigerin Coco Gauff. Navarro ist wie Pegula ebenfalls Tochter eines Milliardärs. Ihr Vater Ben ist als erfolgreicher Unternehmer inzwischen auch im Tennis aktiv, unter anderem als neuer Besitzer des Turniers in Cincinnati. Navarro, die sich zunächst für ein Studium an der University of Virginia entschied, ehe sie Profi wurde, kletterte nach den US Open erstmals in die Top 10 auf Platz 8 und ist eine von 15 (!) US-Amerikanerinnen in den Top 100.
Um große Titel zu gewinnen, müssen Pegula und Navarro in Zukunft, vor allem auf Hartplatz, an Sabalenka vorbei. Die Aussage der Belarussin nach ihrem Triumph bei den US Open sollte ihren Gegnerinnen dabei Mut machen. „Wenn du immer weiter hart arbeitest und alles für deinen Traum aufopferst, wirst du eines Tages ans Ziel kommen“, sagte Sabalenka, die Königin des Hartplatzes.