WTA-Finals in Saudi-Arabien: Matches vor teilweise nur 400 Fans
Die WTA-Finals finden erstmals in Saudi-Arabien statt. Für die WTA-Tour ist das ein Balanceakt, weil es Kritik gibt und nur wenige Zuschauer kommen.
Am zweiten Tag der WTA-Finals in Saudi-Arabien brach es aus Tim Henman heraus. Der ehemalige britische Profi, der mittlerweile für den Sportsender Sky in Großbritannien als Tennis-Experte arbeitet, ist in Riad, der Hauptstadt Saudi Arabiens, vor Ort. Er hatte die 5.000 Fans fassende King Saud University’s Indoor Arena im Blick, als das Match zwischen den Amerikanerinnen Coco Gauff und Jessica Pegula begann. Henman musste die anwesenden Zuschauer in dem eher kleinen Rund wortwörtlich suchen – so wenige waren es. Während der Partie waren nicht mehr als 400 Fans in der Halle. Vor dem heimischen TV-Gerät fiel das kaum auf, da die Ränge stets abgedunkelt sind und das Licht nur auf den Platz gerichtet ist.
WTA-Finals „extrem enttäuschend“, sagt Tim Henman
„Es gab viele Debatten darüber, ob Sportereignisse nach Saudi-Arabien kommen sollten“, sagte Henman schließlich der englischen Tageszeitung The Telegraph, „aber wenn wir das hinter uns lassen und nur die WTA-Finals als Event betrachten, ist es extrem enttäuschend, wenn die besten Spielerinnen der Welt vor einem solchen Publikum spielen.“ Er gab zusätzlich zu bedenken, dass „die Organisatoren sich hier in einer privilegierten Position befinden, da sie nicht unbedingt mit den Eintrittsgeldern Geld verdienen müssen“. Heißt: Das vermögende Saudi-Arabien ist – anders als andere Turnierveranstalter – auf die Ticketeinnahmen nicht angewiesen. Henmans Vorschlag lautete deshalb: „Die Veranstalter sollten in die Gemeinden und Schulen gehen, denn wir brauchen hier Zuschauer, die die besten Spielerinnen sehen und eine Atmosphäre schaffen.“
Nach Recherchen vom Telegraph kosten die billigsten Tickets in Riad nicht mehr als 30 Riyals – also etwa 7,50 Euro. Angesichts solcher Preise stellt sich die Frage: Kann die WTA-Tour ihr auf drei Jahre ausgelegtes Engagement für ihr Jahresabschlussturnier in Saudi-Arabien rechtfertigen, wenn das Interesse der Einheimischen kaum vorhanden ist?
WTA-Finals mit wenig Fans, Six Kings Slam war gut besucht
In dem Zusammenhang lohnt sich ein Rückblick auf das Showturnier „Six Kings Slam“, das vor drei Wochen ebenfalls in Riad stattfand und an dem sechs der aktuell besten Spieler der Herrentour teilnahmen. Das Turnier wurde in einer anderen Arena ausgerichtet, die 8.000 Fans fasste. Als Nadal, Djokovic, Medvedev, Sinner, Alcaraz und Rune zu ihren Matches antraten, waren die Tribünen stets gut gefüllt. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass Damensport in Saudi-Arabien einfach (noch) nicht funktioniert?
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Es sind Fragen, die sich in die grundsätzliche Diskussion um den „Sportstandort“ Saudi-Arabien einfügen. Klar ist: Die saudische Generalbehörde für Unterhaltung (kurz GEA) will das konservative Königreich in eine moderne Sport- und Freizeitdestination verwandeln: weg vom Land der Petrodollars, das seinen Reichtum den fossilen Ressourcen verdankt; hin zu einer sportbegeisterten und weltoffenen Nation mit diversifizierter Wirtschaft, zu der andere Länder aufschauen. In der von Staatsoberhaupt Mohammed bin Salman proklamierten „Vision 2030“ kommt dem Sport eine entscheidende Bedeutung zu: Er dient mit seinen Großevents als Investitionsanreiz und rückt Saudi-Arabien in ein positives Licht.
WTA-Finals als klassisches „Sportwashing-Event“
Angenehmer Nebeneffekt: Der üble Ruf des Staates als repressives Regime, dem Menschenrechte egal sind, gerät in den Hintergrund – klassisches „Sportwashing“ also. Nur zur Erinnerung: Im „Global Gender Gap Report“, einem Indexwert des Weltwirtschaftsforum zur Gleichstellung der Geschlechter, rangiert Saudi-Arabien aktuell auf Platz 126 – von insgesamt 146 Ländern. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: In der Vergangenheit stand das Königreich in diesem Report noch schlechter da.
Second day of the WTA Finals drew an embarrassingly tiny crowd of around 400 spectators, reopening the debate about the decision to bring elite tennis to Riyadh
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— Telegraph Sport (@TelegraphSport) November 4, 2024
Darauf berufen sich auch die teilnehmenden Spielerinnen. Ihr Ansatz lautet: Die acht besten Tennisspielerinnen der Welt könnten insbesondere die Rolle der Frauen in Saudi-Arabien weiter verbessern; sie wären eine Inspirationsquelle für die weibliche Bevölkerung in einem von Männern dominierten Staat. Tatsächlich gehört es zur „Vision 2030“ von Staatsoberhaupt Mohammed bin Salman, die Frauenrechte zu stärken. Und es hat in den letzten Jahren auch einen Wandel gegeben. Ob dieser aber wirklich nachhaltig ist und nicht nur den wirtschaftlichen Interessen des Landes dienen soll, wird sich erst noch zeigen.
Coco Gauff: „Kehre vielleicht nicht hierhin zurück“
Coco Gauff ist sich dieser Gemengelage durchaus bewusst. Sie sagte vor dem Start der WTA-Finals, dass sie „wahrscheinlich nicht zu Tennisveranstaltungen nach Saudi-Arabien zurückkehren“ würde, wenn sie das Gefühl hat, dass sich in dem Land keine Veränderungen vollziehen. „Ich möchte mich selbst davon überzeugen, ob sich etwas ändert“, sagte sie und ergänzte, dass die Fortschritte, die sie bisher gesehen habe, sie ermutigt hätten, in Riad zu spielen. Gauff erinnerte bei ihrem Statement auch an ihre Erfahrungen in der schwarzen Community der USA: „Ich habe wirklich das Gefühl, dass man klein anfangen muss, um Veränderungen zu bewirken. So wurde es mir beigebracht, als Schwarze in Amerika aufzuwachsen und unsere Geschichte zu kennen.“
In Bezug auf die schwachen Besucherzahlen äußerte sich Gauff eher versöhnlich: „Jedes Mal, wenn es in einer Region etwas Neues gibt, erwarte ich nicht, dass die Tribünen voll sind. Das ist einfach Teil der Entwicklung des Spiels. Schauen Sie sich die Frauenbasketballliga WNBA an. Die Tribünen waren vor ein paar Jahren wahrscheinlich nicht so voll, und jetzt sind sie bei allen Teams voll. Ich denke also, dass es nur Wachstumsschmerzen sind.“ Gegnerin Jessica Pegula sah es ähnlich: „Wir haben schon viele Matches gespielt, bei denen nicht viele Leute zugeschaut haben. In der Covidphase war sogar niemand da.“
WTA-Finals: Prag wäre der bessere Standort
Das sind – mit Verlaub – leicht schräge Vergleiche. Ja, die WTA-Finals hatten auch in den letzten beiden Jahren, als sie in Fort Worth (Texas, 2022) und Cancun (Mexiko, 2023) stattfanden, massive Probleme – inklusive geringer Zuschauerzuspruch. Aber Gauff und auch Pegula wissen genau, dass es durchaus Standorte auf der Welt geben würde, wo die WTA-Finals bestens funktionieren könnten. Zum Beispiel in Europa. Prag hatte sich etwa mehrfach als Austragungsort beworben, wurde aber von der WTA abgelehnt. Allein die Nähe zu den Heimatmärkten von Iga Swiatek und Aryna Sabalenka hätte Prag etliche Fans gebracht. Und Damentennis wird in Tschechien grundsätzlich als höchst attraktive Sportart wahrgenommen.
Warum die Wahl der WTA-Tour auf Riad fiel, ist offensichtlich: Das finanzielle Angebot der Saudis dürfte zu verlockend gewesen sein. Allein das Gesamt-Preisgeld beläuft sich nun auf insgesamt 15.250.000 Dollar – genauso viel wie bei den ATP-Finals in Turin 2024. Die Wahl, die WTA-Finals nach Riad zu verlegen, hatte schon frühzeitig für Kritik gesorgt. Ex-Profi Andy Roddick kommentierte in seinem Podcast Served: „Was mich ärgern wird, ist, wenn die WTA dieses Geld nimmt und dann ihr Marketing über Gleichberechtigung fortsetzt … Sie haben den Meistbietenden genommen, der so ziemlich allem widerspricht, wofür die WTA in den letzten 40 oder 50 Jahren gestanden hat.“
Die Legenden Martina Navratilova und Chris Evert hatten in einem öffentlichen Brief an die WTA-Tour Folgendes geschrieben: „Wir schätzen die Wichtigkeit, diverse Kulturen und Religionen zu respektieren, sehr. Genau deshalb glauben wir, dass, wenn man Saudi-Arabien erlaubt, die WTA-Finals zu veranstalten, dies komplett unvereinbar mit dem Geist und dem Anliegen von Frauentennis und der WTA selbst wäre. Die WTA ist auf der Grundlage von Fairness und Gleichheit gegründet worden, um Frauen in einer von Männern dominierten Welt mehr Chancen zu geben. Kurz gesagt: Die WTA sollte Werte verkörpern, die in komplettem Kontrast zu jenen des Königreichs Saudi-Arabien stehen. Das ist nicht nur ein Land, in dem Frauen nicht als gleichwertig angesehen werden, es ist auch ein Land, dass die LGBTQ-Gemeinde kriminalisiert. Ein Land, dessen Langzeit-Bilanz bei den Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten jahrzehntelang international für Besorgnis gesorgt hat.“
WTA-Finals: leere Tribünen spielen keine große Rolle
Wie schwierig es in dieser Konstellation ist, gegenüber der westlichen Öffentlichkeit den Zuschlag für Saudi-Arabien zu rechtfertigen, zeigte sich vor Turnierbeginn, als die neue WTA-Chefin Portia Archer, die im Sommer das Amt von Steve Simon übernommen hatte, die WTA-Entscheidung vor der Presse versuchte zu begründen.
Zuerst sagte sie: „Wir spielen oft in Ländern, in denen andere Sitten, andere Kulturen und in einigen Fällen andere Wertesysteme herrschen als bei mir persönlich oder bei der WTA als Organisation mit Sitz in den Vereinigten Staaten.“ Als sie später merkte, dass diese Aussage auch missverstanden werden könnte, ruderte sie zurück mit den Worten: „Ich wollte eigentlich sagen, dass wir die Werte Saudi-Arabiens respektieren, auch wenn sie sich von denen anderer Länder unterscheiden, in denen wir sonst unsere Wettkämpfe austragen.“ Ihr Auftritt glich einem Eiertanz und zeigte: So richtig wohl fühlt sich die WTA mit ihrem Saudi-Arabien-Deal anscheinend nicht. Aber am Ende zählt eben das Geld.
Die leeren Tribünen spielen so gesehen keine große Rolle – Deal ist Deal. Die WTA kommentierte die geringe Zuschauerresonanz auch nicht mit großer Besorgnis, ganz im Gegenteil: „Wir haben mit Beginn der saudischen Arbeitswoche am Sonntag immer mit einer geringeren Besucherzahl gerechnet, gehen aber davon aus, dass die Zahlen gegen Wochenende steigen werden.“
Man könnte es auch so zusammenfassen: Es spricht nicht gerade für den sportlichen Wert ihrer eigenen Hochglanz-Veranstaltung, wenn die Damentour-Organisation von Beginn an ein geringes Zuschauerinteresse in ihre Gesamtkalkulation mit eingepreist hatte.