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Volltreffer: Zhizhen Zhang hat mächtig Zug auf seinem Schläger.

Zhizhen Zhang: Chinas Bester

Zhizhen Zhang ist auf einem guten Weg, Chinas Herrentennis aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. tennis MAGAZIN hat den 27-jährigen Spätstarter etwas genauer unter die Lupe genommen.

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 12/2023.

Erster. Immer wieder Erster. Wenn von Zhizhen Zhang die Rede ist, dann kommt man an diesem Begriff nicht vorbei. Der erste Chinese in den Top 100 im ATP-Ranking, der erste Chinese im Hauptfeld eines Grand Slam-Turniers, der erste Chinese in der dritten Runde der French Open, der erste Chinese im Viertelfinale eines Masters-1000-Turniers, der erste Chinese, der einen Top-5-Spieler besiegte. Diese Reihe wird sich vermutlich in der nächsten Zeit fortsetzen.

Während Chinas Damen seit Jahren oben mitspielen und bereits Grand Slam-Titel im Einzel und Doppel gewonnen haben (Na Li im Einzel sowie Shuai Peng, Shuai Zhang und Xinyu Wang im Doppel), fristete das Herrentennis im Reich der Mitte Jahrzehnte lang ein Schattendasein. Zhizhen Zhang ist gekommen, um das chinesische Herrentennis auf die Landkarte zu bringen. Mit in seinem Schlepptau sind seine Landsmänner Yibing Wu (beste Platzierung: 54) und der erst 18-jährige Juncheng Shang (beste Platzierung: 149). 

Andrea Petkovic über Zhang: „Er hat die Ausstrahlung eines Superstars“

Als tennis MAGAZIN Zhang während des ATP-Turniers im Hamburg trifft, erhielt er kurz vorher das größtmögliche Lob. Turnierbotschafterin Andrea Petkovic bezeichnete Zhang als ihren aktuellen Lieblingsspieler. „Er spielt spektakulär und hat die Ausstrahlung eines Superstars“, adelte Petkovic den 27-jährigen Chinesen. „Ich bin glücklich und gleichzeitig überrascht, so etwas zu hören, weil ich noch nicht da bin, wo ich hinwill. Ich habe noch einen langen Weg vor mir“, kontert Zhang etwas verlegen. Was ihn besonders glücklich mache, sind die Meilensteine, die er derzeit in Chinas Herrentennis setze. „Ich bin sehr stolz darauf, der erste Chinese in den Top 100 zu sein. Es gab so viele, die versucht haben, das zu erreichen. 2022 habe ich es endlich geschafft. Zuvor gab es eine Leere im chinesischen Herrentennis. Jeder Schritt ist ein weiterer Meilenstein in unserer Tennishistorie.“ 

Zhizhen Zhang: „Herrentennis in China ist ein Rätsel”

Zhang ist so etwas wie der Erlöser, denn die Anstrengungen in den letzten Jahrzehnten waren enorm, damit China auf der ATP-Tour eine Rolle spielt, zumindest eine kleine. An hochkarätigen Turnieren in China mangelt es seit Jahren nicht. In Shanghai fanden von 2005 bis 2008 die ATP Finals der acht besten Spieler des Jahres statt, damals unter dem Namen Masters Cup. Seit 2009 ist Shanghai ein Masters-1000-Turnier. Insgesamt vier ATP-Turniere werden in China ausgetragen. Was stets fehlte, war ein heimisches Aushängeschild. „Herrentennis in China ist ein Rätsel seit vielen Jahren. China kann Raketen in den Himmel schicken, aber wir sind nicht in der Lage, einen einzigen Top-100-Spieler zu produzieren. Wir warten zu lange“, sagte der Journalist Bendou Zhang im australischen Tennismagazin Anfang 2022. 

Zhizhen Zhang

Bestes Jahr: Zhizhen Zhang begann die Saison 2023 auf Platz 99 und spielte sich in die Nähe der Top 50 vor.

Zhizhen Zhang: „Ich bin stolz, dabei zu sein, etwas Neues zu erschaffen”

Zu diesem Zeitpunkt stand sein Namensvetter Zhizhen Zhang – einer der bekanntesten Nachnamen in China – nicht einmal in den Top 300. Zehn Monate später begann die neue Zeitrechnung in China, als Zhang am 24. Oktober 2022 als erster Chinese in den Top 100 gelistet war – auf Platz 97. Die Erfahrung in vielen anderen Sportarten zeigt, dass, wenn einmal eine berüchtigte Schallmauer durchbrochen wird, kurze Zeit später auch andere Athleten diese knacken.

Kurz nach Zhang spielte sich mit Yibing Wu ein weiterer Chinese in die Top 100 vor. „Viele junge Spieler haben gelernt, dass es nicht unmöglich ist, dorthin vorzustoßen. Nun beginnen sie, an sich selbst zu glauben. Es ist eine Motivation für sie. Wir versuchen es, so weit wie möglich zu schaffen. Yibing Wu und ich haben viele Rekorde gebrochen. Im internationalen Vergleich haben wir noch nicht viel geschafft, aber für China haben wir schon viel erreicht. Ich bin stolz, dabei zu sein, etwas Neues zu erschaffen“, sagt Zhang.  

Viele Erlebnisse auf der Tour sind Neuland für Zhang

Mit seinen bereits 27 Jahren ist der Chinese einer dieser Spätzünder. Die Corona-Pandemie bremste ihn etwas in seiner spielerischen Entwicklung aus. Doch warum hat es generell so lange gedauert, bis ein Spieler aus China in die Top 100 vorstößt? „Das ist schwer zu beurteilen. Vieles war vor meiner Zeit. Für andere ist es deutlich leichter, das Land zu verlassen und sich dort wohlzufühlen. Man reist um die ganze Welt. Für die letzte Generation von uns war es nicht so leicht. Nur wenige wollten reisen. Der Hauptteil der Tour ist in Europa oder in den USA. Nur ein kleiner Teil spielt sich in Asien ab. Das ist ein wichtiger Grund dafür“, versucht Zhang die Entwicklung einzuordnen.

Für den 27-Jährigen sind die meisten Erlebnisse auf der ATP-Tour Neuland. So sah er beim Turnier in Kitzbühel – hier war er selbstverständlich auch der erste Chinese in der 80-jährigen Turnierhistorie – zum ersten Mal überhaupt Kühe. „Ich lebe in Shanghai, deshalb habe ich noch nie Schnee gesehen. Das würde mich echt freuen, im Winter zurückzukommen“, sagt er. 

Zhizhen Zhang

Goldjunge: Bei den 19. Asienspielen in Hangzhou spielte sich Zhizhen Zhang souverän zum Titel.

Vorbild Marat Safin

Neben Roger Federer hat es ihm in seiner Jugend vor allem Marat Safin angetan. „Ich habe das Halbfinale zwischen Safin und Federer bei den Australian Open 2005 gesehen. Das war ein tolles Fünfsatzmatch, das Safin gewonnen hat. Ich war sehr von Safins Rückhand beeindruckt und wollte seine Rückhand unbedingt lernen“, sagt er. Die Ähnlichkeit zu Safins Spiels ist nicht zu übersehen. Mit 1,93 Meter ist Zhang genauso groß wie der ehemalige Weltranglistenerste. Sein Aufschlag und seine Grundschläge sind ähnlich dominant wie die von Safin. „Ich werde weiterhin versuchen, mein Tennis so nah wie möglich an das Netz zu bringen, weil ich aggressiv spielen will. Du kannst nicht erwarten, dass die zwei Meter großen Spieler nur von der Grundlinie spielen oder die kleineren nur Volleys spielen. Es hängt von den Spielern ab“, sagt er über seine Spielausrichtung. 

Jeder kennt Zhizhen Zhang in China

Auch sein Bezug zu Roger Federer ist seit Jahren vorhanden. Er wird von der Managementagentur von Ivan Ljubicic, Federers Ex-Trainer, betreut. „Ich bin Ivan 2015 das erste Mal begegnet. Danach haben wir einen Vertrag abgeschlossen. Das Ziel waren fortan die Olympischen Spiele. Im nächsten Jahr finden sie in Paris statt. Das ist mein großes Ziel: der erste Chinese bei Olympia nach Peking 2008 zu sein. Ich bin Ivan sehr dankbar, dass er auch nach den schwächeren Jahren an meiner Seite geblieben ist“, erzählt er gegenüber tennis MAGAZIN. Als Trainer kommt Ljubicic derzeit noch nicht in Frage. „Er ist zu teuer“, sagt Zhang mit einem Lachen. 

Trainiert wird Zhang derzeit unter anderem von dem Taiwanesen Yen-Hsun Lu, ehemals Viertelfinalist in Wimbledon und Nummer 33 der Welt. „Jeder kennt ihn in China. Er ist viel berühmter als wir. Vor allem auf Rasen kann ich viel von ihm lernen. Er ist ein sehr intelligenter Spieler gewesen. Er kann die Gegner gut lesen. Dadurch kann er mir helfen, während der Matches die Probleme zu lösen“, sagt er über Lu. Ein Superstar in China ist Zhang noch lange nicht. „Im Tennis etwas, vielleicht auch bei den Kindern. Insgesamt würde ich nicht sagen, dass ich berühmt bin. Es gibt Sportler, die viel erfolgreicher sind als wir. Tischtennisspieler und Turmspringer sind Superstars in China. Ich versuche, dorthin zu kommen, aber das ist noch ein langer Weg“, sagt er. 

Zhizhen Zhang: Triple-Z auf dem Weg zum Superstar in China

Einen kleinen Vorgeschmack darauf, was einen Superstar ausmacht, bekam er, als Federer während des Masters-1000-Turniers in Shanghai auf dem Centre Court geehrt wurde und Zhang neben seinem großen Idol sowie Chinas Tennisikone Na Li stehen durfte. Als „zukünftigen Superstar“ bezeichnete Federer den 27-Jährigen, dessen Spitzname „ZZZ (Triple-Z)“ ist. „Mein vollständiger Name ist häufig schwer für die Leute. Mein Spitzname wurde dann ‚ZZZ‘, weil ich drei Z in meinem Namen habe. Das ist für die Leute außerhalb von China deutlich einfacher auszusprechen. Und es klingt cool. ‚Triple-Z‘. Ich mag es auch zu schlafen, also ist ‚ZZZ‘ perfekt“, sagt Zhang grinsend. 

Zhizhen Zhang

Den Stars ganz nah: Beim Masters-1000-Turnier in Shanghai stand Zhizhen Zhang mit Roger Federer und der zweimaligen Grand Slam-Siegerin Na Li auf dem Platz.

Im September dieses Jahres bei den Asienspielen im chinesischen Hangzhou gewann Zhang die Goldmedaille im Herrentennis. Sieht die Zukunft Chinas auf der ATP-Tour also rosig aus? „Ich wünsche es mir, wenn ein Chinese in den nächsten 15 bis 20 Jahren ein Grand Slam-Turnier gewinnt. Beim Davis Cup sind wir weit davon entfernt. Wir müssen Schritt für Schritt denken. Vor allem im Herrentennis ist es schwer, ein Major zu gewinnen“, schätzt er die Situation realistisch sein. Ein nächster Schritt auf dem Weg zum ersten Grand Slam-Sieger aus China wären mehrere ATP-Titel. Sollte Triple Z bald einen Sieg schaffen, wäre er in dieser Disziplin allerdings nicht der erste. Das war Wu Yibing dieses Jahr in Dallas.

Vita Zhizhen Zhang

Zhizhen Zhang

©: Alexander Scheuber

Der Chinese, 27, begann im Alter von vier Jahren mit dem Tennis. Seine Mutter war Sportschützin, sein Vater war Fußballspieler für Shanghai ShenHua. Da sein Vater dachte, dass sein Sohn zu klein war für Fußball, schickte er ihn mit vier Jahren zum Tennis und zum Schwimmen. Sein Debüt auf der ATP-Tour feierte er 2015 beim Turnier in Shenzhen. Kurz darauf brach er sich den Fuß und wurde in seiner Entwicklung ausgebremst. 2021 qualifizierte er sich in Wimbledon als erster Chinese für das Hauptfeld eines Grand Slam-Turniers. 2023 erreichte er unter anderem das Viertelfinale in Madrid, das Halbfinale in Hamburg sowie die dritte Runde bei den French Open und US Open. Beste Platzierung im ATP-Ranking: 52.