Zum Rücktritt von Juan Martin del Potro: Adios Amigo!
Zu viele Verletzungen, zu viele Zwangspausen: Mit Juan Martin del Potro beendet einer der beliebtesten Profis seine Karriere – Hommage an einen ganz Großen.
(Der Text erschien im Original in unserer Print-Ausgabe 4/2022)
Mensch Delpo, jetzt bist du endgültig zurückgetreten, bevor du noch einmal richtig zurückgekommen bist. Klar, die eigene Karriere mit einem 1:6, 3:6 gegen deinen alten Davis Cup-Kollegen Federico Delbonis zu beenden, ist nicht das, was du dir vorgestellt hast. Aber es spricht für dich, dass du es noch einmal versucht hast. Noch einmal konntest du in deiner Heimat, in Buenos Aires, die große Liebe deiner Fans spüren. Wobei: Es wäre fast egal gewesen, wo du noch einmal aufgelaufen wärst – dir hätten die Massen überall zugejubelt. In jedem Tennisstadion der Welt hätten sie Tränen in den Augen gehabt, genau wie du selbst.
Juan Martin del Porto: „Der sanfte Riese“
Deine Sympathien hast du dir nicht auf herkömmlichen Weg eines Profisportlers erarbeitet. Du bist kein Seriensieger, kein Rekordjäger, kein Abräumer. Du hattest nicht diese perfekte Eleganz wie Roger Federer, nicht diesen unstillbaren Siegeshunger wie Rafael Nadal und auch nicht diese hartnäckige Verbissenheit wie Novak Djokovic. Du warst einfach Delpo. Großherzig, gutmütig, nahbar. Geborgenheit auf fast zwei Metern – das hast du stets ausgestrahlt. „The Gentle Giant“ wurde zu deinem Spitznamen und zum Titel einer wunderbaren Biografie von Sebastian Torok über dich und dein Leben.
Eigentlich hättest du Rugbyspieler in deiner Geburtsstadt Tandil werden sollen. Zumindest war das anfangs der Wunsch deines Vaters Daniel, der selbst erfolgreich Rugby gespielt hatte. Du aber fandest erst Fußball und später Tennis spannender. Als kleiner Junge musstest du beim Sportverein „Independiente de Tandil“ manchmal auf den Beginn des Fußballtrainings warten. Zur Überbrückung hast du Tennis gespielt. Anfangs war es nicht mehr als ein Zeitvertreib für dich, erst mit zwölf Jahren hast du dich komplett dem Tennis zugewandt.
Schon früh musstest du lernen, mit Schicksalsschlägen klarzukommen. Du warst sechs Jahre alt, als deine Familie in einen schrecklichen Autounfall verwickelt war. Deine ältere Schwester Guadalupe starb, sie war erst acht Jahre alt. Das Trauma hat deine Familie nie überwunden – wie auch?
Juan Martin del Portro: ein Kumpel zum Bier trinken
Umso fester wurde die Bindung zu deiner jüngeren Schwester Julieta. „Ich bin liebevoller zu ihr als zu meinen Eltern. Ihr kann ich sagen, dass ich sie liebe – meinen Eltern nicht. Ich spreche täglich mit ihr, und sie gehört zu den Menschen, die sich am meisten freuen, wenn ich gewinne, und die am traurigsten sind, wenn mir etwas Ungerechtes passiert. Und wenn sie leidet, macht sie mich unerträglich traurig“, hast du mal in einem Interview verraten. Es sind auch solche Worte voller Wärme und Menschlichkeit, die dich zu dem gemacht haben, was du heute bist: ein Sportler, der nie abgehoben, weltfremd oder überheblich dahergekommen ist. Eher wie jemand, den man sich bestens als guten Kumpel vorstellen kann. Wie jemand, dem man bei einem Bier auch mal sein Herz ausschütten kann.
Die große Verbundenheit etlicher Fans zu dir hat aber noch einen weiteren Grund: deine vielen Verletzungen. Das klingt vielleicht hart, ist aber logisch. Deine Auftritte bei den US Open 2009, wo du erst Rafael Nadal aus dem Arthur Ashe-Stadium geschossen (6:2, 6:2, 6:2-Sieg) und danach im Endspiel Roger Federer in fünf Sätzen besiegt hast, wobei du ihm allen Ernstes 47 Vorhand-Geschosse um die Ohren geballert hast, waren für die Szene eine Verheißung: Das ist der Kerl, der den ewigen Zweikampf zwischen Rafa und Roger, die zu diesem Zeitpunkt 17 der letzten 18 Grand Slam-Turniere gewonnen hatten, beenden wird.
Es kam bekanntlich anders. Novak Djokovic übernahm diese Rolle. Und du wurdest von so vielen schwerwiegenden Verletzungen heimgesucht, die für einen Sportler eigentlich nicht auszuhalten sind. Zunächst waren es die Handgelenke. Erst rechts an der Schlaghand, später dann auch links aufgrund der beidhändigen Rückhand. Deine Fotos und Statusmeldungen in den sozialen Netzwerken drehten sich zu dieser Zeit wie im Kreis: mit verbundener Hand auf dem Krankenbett nach der OP, bei der sanften Reha, bei der harten Fitnessarbeit, bei ersten Schlagübungen auf dem Platz, freudestrahlend vor einem Turnierstart – und dann fing alles wieder von vorne an. Wer so viel Verletzungspech hat, den will man nur in den Arm nehmen und einmal knuddeln. So wie du es immer mit deinen Gegnern beim Handshake gemacht hast – egal, ob du gewonnen oder verloren hattest.
Irgendwann standest du wieder auf dem Platz und hast deine „Tomahawk-Vorhand“ nach Belieben über das Netz geschickt. In Zeiten verschnörkelter Topspinschläge quirliger Defensivkünstler, die selbst bei Treffpunkten drei Meter hinter der Grundlinie noch mit Winnern punkten, hast du mit deiner flachen und geraden Vorhand für eine gewisse Klarheit im Match gesorgt: Wer dir auch nur einen Hauch zu kurz in die Vorhand gespielt hat, wurde gnadenlos bestraft.
Juan Martin del Potro und die Silbermedaille von Rio 2016
Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio hast du dich endgültig unsterblich gemacht – und das „nur“ als Gewinner der Silbermedaille. 22 Stunden musstest du dafür schuften, hast dich als 141. der Weltrangliste durch sechs kräftezehrende Matches geschleppt. Am Ende haben selbst dir, dem argentinischen Gaucho, die einheimischen Brasilianer frenetisch zugejubelt. Gold-Gewinner Andy Murray bekam nur halb so viel Applaus, wenn überhaupt.
Dein erfolgreiches Comeback war ein weiteres Puzzlestück deiner Legendenbildung. 2016 holtest du für Argentinien den Davis Cup in einem dramatischen Finale gegen Kroatien in Zagreb. Argentinien lag am abschließenden Sonntag 1:2 hinten, du hattest gegen Marin Cilic die beiden ersten Sätze verloren – dann kamst du zurück, 6:7, 2:6, 7:5, 6:4, 6:3-Sieg zum 2:2. Danach machte Federico Delbonis gegen Ivo Karlovic alles klar, aber der Held warst du.
Eure Ankunft in Argentinien: ein gigantisches Spektakel, noch größer als dein Empfang nach dem US Open-Sieg 2009, bei dem Zehntausende auf den Straßen von Tandil unterwegs gewesen waren. Im August 2018 schließlich warst du die Nummer drei im Ranking, so hoch wie noch nie. Bei den US Open standest du erneut im Finale. „Ich bin der Beste vom Rest“, hattest du mal gesagt, aber das stimmte nun nicht mehr. Du warst nah dran, es ganz nach oben zu schaffen.
Dann brach deine Kniescheibe beim Masters in Shanghai. Es war, wie nun alle wissen, der Anfang vom endgültigen Ende für dich als Tennisspieler, der die Geschichte hätte umschreiben können. Die Fragen, wie viele weitere Grand Slam-Titel du hättest gewinnen können, wie lange du die Nummer eins hättest sein können und ob aus dem Dreikampf zwischen Federer, Nadal und Djokovic womöglich ein Vierkampf entbrannt wäre, werden nie mehr beantwortet.
Vermutlich war dir das aber auch nicht mehr so wichtig. Du hattest längst andere Probleme. Dein geliebter Hund Cesar war gestorben, mit dem du so gerne für Instagram-Fotos posiert hast, bei denen man sich unweigerlich fragte: Wer blickt eigentlich treuherziger – du oder Cesar? Die Beziehung mit dem Model Sofia Jimenez ging in die Brüche. In der argentinischen Presse hieß es, dass du nun auf psychiatrische Hilfe angewiesen wärst, weil das alles zu viel wurde für dich. Es wäre nur allzu verständlich. Schließlich verstarb auch dein Vater, mit erst 63 Jahren, was für sich genommen schon schlimm genug ist. Er aber soll erhebliche Teile deines Vermögens – angeblich bis zu 30 Millionen US-Dollar – verspekuliert haben. Mensch Delpo, dir bleibt aber auch wirklich nichts erspart.
„Das Schwierigste, was man erreichen kann, ist nicht ein großer Pokal oder eine hohe Weltranglistenplatzierung. Es ist die Liebe und Unterstützung der Menschen. Ich denke, das habe ich geschafft. Jetzt möchte ich einfach nur in Frieden leben und schlafen können, ohne Schmerzen in meinem Bein zu haben“, hast du zum Abschied gesagt und damit wieder Millionen zu Tränen gerührt. Adios Amigo! mens jordan release dates 2022 | cheap air jordan 11