Andy Roddick: Der amerikanische Traum
Das Leben kann hart sein, richtig fies. Bereiten Sie sich auf das ultimative Hartplatzduell vor, forderte die New York Times vor ein paar Jahren ihre Leser vor den US Open auf und sprach vom großen Finale. Doch die Gazette berichtete nicht vom möglichen Fight zwischen Roger Federer, der damaligen (und heutigen) Nummer 1, und dem besten Amerikaner, dem Local Hero Andy Roddick. Gemeint war das Duell Federer gegen Nadal. Die große Tennisnation USA hatte vor der Überlegenheit der Europäer kapituliert. Mit dem eigenen Star rechnete man nicht.
Das wird diesmal, wenn vom 31. August bis zum 13. September das letzte Grand Slam-Turnier des Jahres im New Yorker Stadtteil Queens steigt, anders sein. Dann wird der wiedererstarkte Andrew Stephen Roddick, der einen Tag vor der 21,6 Millionen Dollar-Rekordveranstaltung seinen 27. Geburtstag feiert, wieder die volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. So wie das jahrelang der Fall war, als die Veranstalter die Spielpläne nur nach Roddick ausrichteten und die Werbung seines Sponsors im Minutentakt über die Bildschirme flimmerte. Einmal spielte Roddick im TV-Spot gegen Pong, einen weißen Balken, der im Stil des 70er-Jahre- Telespiels hin- und hersauste und jeden Ball mühelos zurückbrachte. Am Ende hatte Roddick das Rezept gefunden, mit dem er die Maschine knacken konnte. Ein Aufschlag von unten, der schon vor der Grundlinie ein paar Mal den Boden berührte, war für Pong unerreichbar. Anschließend riss Roddick die Hände in die Höhe. Er war der Sieger.
19 Niederlagen gegen Federer
Kann er auch im richtigen Leben noch einmal die US Open gewinnen? Sechs Jahre, nachdem er dort zum letzten Mal triumphierte? Damals war er 21, der aufstrebende Spieler. Die Ära Federer hatte noch nicht begonnen, und die Zeit von Pete Sampras war vorbei. Ein Mann wie Roddick, jung, charismatisch, gutaussehend, erfolgreich, war die ideale Besetzung für das Label Superstar. Doch es kam anders. Mit keinem Namen ist die Karriere von A-Rod, wie ihn seine Fans rufen, so verknüpft wie mit dem von Federer. Der Schweizer ist für Roddick roter Faden und rotes Tuch. 21-mal standen sich die beiden gegenüber, nur zweimal hieß der Sieger Roddick. Bei Grand Slam-Turnieren konnte der Mann aus Texas die Hürde Federer nicht ein einziges Mal überwinden. Achtmal verlor er gegen den Schweizer bei den entscheidenden Veranstaltungen. Ich müsste ihn hassen, aber dazu ist er zu nett, sagt Roddick.
Es ist der Fluch, zur falschen Zeit geboren zu sein und im Schatten eines Größeren zu stehen, schrieb vor ein paar Wochen das New York Magazine und bezeichnete Roddick als den Salieri des Tennis. Zur Erklärung: Der Komponist und Kapellmeister Antonio Salieri galt im 18. Jahrhundert als der weniger talentierte Gegenspieler von Wolfgang Amadeus Mozart. Kein schlechter Vergleich, zumal auch Federer ein Genie ist.
Allerdings: Zuletzt hatte Roddick den scheinbar Unerreichbaren fast gestürzt. Im Finale von Wimbledon 2009 verlor Roddick im fünften Satz mit 14:16 geradezu tragisch. Im Tiebreak des zweiten Satzes vergab er einen leichten Volley zur 2:0-Satzführung. Dass diesmal nicht der bessere, sondern der glücklichere Spieler gewonnen hatte, wusste auch Federer. Mach dir nichts draus. Letztes Jahr erging es mir so gegen Nadal, versuchte er Roddick bei der Siegerrede zu trösten. Federer meinte es nicht böse, aber es war ein ziemlich misslungener Spruch, den der Verlierer noch auf dem Platz genervt kommentierte: Ja, aber da hattest du schon fünf Titel auf deinem Konto, returnierte Roddick. Es war nach 2004 und 2005 sein drittes verlorenen Wimbledon-Finale gegen Federer. Es ist diese Schlagfertigkeit, die Roddick auszeichnet.
Dass er in dieser Saison vielleicht so gut spielt wie noch nie, ist die eine gute Nachricht für seine Fans. Dass er immer noch so witzig ist wie in seinem Rookie-Jahr 2000, ist die andere. Und ein Segen für die Tour. Die Pressekonferenzen macht er zur One-Man-Show, seine Internet-Blogs und Twitter-News sind hilarious, wie die Amerikaner sagen, zum Schlapplachen. Roddick ist ein Typ. Es gibt Geschichten von ihm, die höchst ungewöhnlich sind. Eine liegt schon sechs Jahre zurück, aber sie erzählt viel über den Menschen Roddick.
Eine wunderbare Freundschaft
Im Juni 2003 sitzt Roddick mit seinem damaligen Trainer Brad Gilbert in einem Londoner Hotel. Es ist der Abend, bevor das Turnier in Queens beginnt. Roddick sagt: Brad, ich kann auf Rasen nicht gewinnen. Gilbert antwortet: Hör zu, du wirst Gras lieben. Du hast einen gewaltigen Aufschlag, eine fantastische Vorhand. Dieser Belag ist wie gemacht für dich. Als Gilbert merkt, dass er seinen Schützling nicht überzeugen kann, beschwört er ihn weiter: Junge, lies es mir von den Lippen ab. Du gewinnst hier zwölf Matches in Folge (fünf in Queens, sieben in Wimbledon). Wir fangen morgen mit der Arbeit an. Wie siehts mit Abendessen aus?
Die beiden lassen sich mit einem Taxi ins Restaurant fahren. Als der Taxifahrer vom Türsteher mit Namen begrüßt wird, ist Gilbert beeindruckt und fragt nach der Visitenkarte des Fahrers. Sein Name ist Stephen Little. Stephen, können Sie uns auch abholen?, fragt Gilbert. Klar, sagt der 57-jährige Mann. Auf der Rückfahrt wendet sich Little zum ersten Mal an Roddick, und es kommt zu folgendem Dialog: Was machst du beruflich? Ich spiele Tennis. Bis du gut? An manchen Tagen. Er wird Queens und Wimbledon gewinnen, mischt sich Gilbert ein, bist du ein Wetter, Stephen? Dann setz fünf Pfund auf ihn Mach ich, sagt Little. Es ist der Beginn einer der wunderbaren Freundschaft zwischen einem Tennisprofi und einem Taxifahrer! Am folgenden Tag buchen Gilbert und Roddick Little wieder. Er fährt sie auch, als Roddick Queens gewinnt und in Wimbledon erst im Halbfinale scheitert.
Als Roddick seinen Reisepass verliert und die US-Botschaft am Wochenende geschlossen hat, ist Little zur Stelle. Im nächsten Jahr chauffiert er Roddick erneut. Als der Amerikaner dieses Jahr das Model Brooklyn Decker heiratet, spielt nicht nur Sir Elton John Piano, und Andre Agassi, Steffi Graf und Billie Jean King feiern mit, auch Little ist mit seiner Frau zu Gast.
Die Sunday Times, die die Geschichte vor dem Wimbledon-Turnier ihren Lesern präsentierte, kommentierte die ungewöhnliche Freundschaft so: Man kann Roddick kritisieren. Er beschimpft Schiedsrichter, sein Stil tut in den Augen weh, aber kann ein Typ, der einen 63-jährigen Taxifahrer zur Hochzeit einlädt, ein schlechter Mensch sein?
Die Andy Roddick-Story sie ist wieder aktuell, spätestens seit Roddicks fantastischen Matches in Wimbledon 2009. Dabei schien die Karriere schon so gut wie vorbei zu sein. 2006 fiel der Amerikaner sogar kurzfristig aus den Top Ten. Der ehemalige Star der New Balls Please-Kampagne der ATP Tour wurde durchgereicht. Die neuen Bälle hießen Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray. Die Lobeshymne, die die Palm Beach Post aus Miami einst auf ihn sang Er hat das Kämpferherz von Cassisus Clay, die Kraft von Tiger Woods und die Präsenz von Kobe Bryant , wirkte wie ein Hohn. Und John McEnroe ätzte: Andy tritt schon zu lange auf der Stelle. Er ist jetzt an einem kritischen Punkt seiner Karriere angekommen.
Fleisch-und-Kartoffel-Spiel
Was Roddick immer auszeichnete, war der härteste Aufschlag der Tour. Sagenhafte 249,4 km/h erzielte er 2004 beim Davis Cup-Halbfinale gegen Weißrussland. Inzwischen räumt selbst Roddick ein: Der beste Aufschläger der Tour heißt Ivo Karlovic. Seine anderen Waffen blieben lange stumpf. Die Vorhand: längst nicht mehr so druckvoll. Die Rückhand, die er stets wie ein Baseballer ins gegnerische Feld schaufelte: ohnehin nie sein Paradeschlag. Ein US-Magazin lästerte: Er hat ein Fleisch-und-Kartoffel-Spiel, das niemandem vom Sitz reißt. Roddick engagierte Jimmy Connors und hatte kurzfristig Erfolg. 2006 führte ihn der Altmeister ins Finale der USOpen. Doch nach einer Weile verlor Connors die Lust am Reisen und Roddick am Tennis. Seinen Tiefpunkt erlebte er im letzten Jahr in Wimbledon, als er in Runde zwei gegen Janko Tipsarevic ausschied.
Auslaufmodell und Modellathlet
Der Wechsel kam mit Larry Stefanki, dem Coach, der schon McEnroe, Marcelo Rios und Yevgeny Kafelnikov trainierte. Als Barack Obama Ende 2008 eine ganze Nation mit der Yes we can-Formel einschwor, machte auch Stefanki seinem Schützling klar: Du kannst es schaffen. Die Voraussetzung: Der 90-Kilo-Mann musste abspecken mindestens zehn Pfund. Und: Er musste auf dem Platz tun, was Stefanki befahl. Die Metamorphose vom Auslaufmodell, der in Talkshows auftrat und Werbung für seinen Duft Andy Roddick machte, zurück zum Modellathleten konnte man schon zu Jahresbeginn bestaunen. In Doha kam er ins Finale, bei den Australian Open ins Halbfinale. Dort scheiterte er wie so oft an Federer.
Geht es nach den PR-Strategen in New York, schlägt Roddick dieses Mal den großen Favoriten. Noch sind die inzwischen von Marines gedrillten US-Talente nicht so weit. Roddick ist so etwas wie der letzte amerikanische Held. Wenn er und die Williams-Schwestern nicht spielen, sinken die Fernsehquoten, und die Ränge bleiben leer, nicht nur die billigen Sitze ganz oben im 23700 Zuschauer fassenden Arthur Ashe-Stadium, von denen die Spieler wie Mickey Mäuse aussehen, sondern auch die Logen. Wir brauchen Spieler, die eine Geschichte erzählen, sagt Arlen Kantarian, der Chef des amerikanischen Tennisverbandes USTA. Eine Story kann Roddick allemal erzählen.
Andrej Antic
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