Anna Chakvetadze: Russisches Rapunzel
Sie trägt ihr Markenzeichen hinter sich. Deshalb wird Anna Chakvetadze gern von der Rückseite fotografiert. Dort baumelt ordentlich geflochten ein langer dunkelblonder Zopf. Während eines Matches entwickelt dieser allerdings ein Eigenleben. Wenn die junge Russin aufschlägt, schnellt er nach oben, steht für Millisekunden senkrecht in der Luft und schwingt anschließend nach rechts und links, während seine Besitzerin über den Platz prescht und um Punkte kämpft. Gestört fühlt sich die 20-Jährige von ihrer hüpfenden Haarpracht nicht. Ich habe mich daran gewöhnt, sagt sie. Der Zopf ist eines der ersten Dinge, die bei der schmächtigen Spielerin ins Auge springen ein typisches Merkmal, auf das selbst Rapunzel in ihrem Turmkämmerchen neidisch werden könnte. Zweimal hat Chakvetadze sich von der geliebten Mähne getrennt und sie auf kürzer als schulterlang stutzen lassen. Mutter Natalia hat damals geweint und die Tochter ließ die Haare schnell wieder wachsen.
Nicht nur bezüglich der Frisur hat die Mutter großen Einfluss gehabt. Sie war es auch, die ihre Tochter im Alter von acht Jahren zum Tennis brachte. Jahrelang hatte die kleine Anna brav den Klavierunterricht besucht. Doch immer öfter kam das quirlige Mädchen quengelnd nach Hause, klagte darüber, wie sehr es sie langweile, auf einem Hocker Platz zu nehmen und mit den Fingern weiße und schwarze Tasten zu drücken. Schon damals hasste sie es, still zu sitzen, wollte lieber auf Bäume klettern, mit Freunden um die Wette rennen oder ein paar Bälle schlagen.
Vom Klavier zum Court
Mit ihren blauen Kulleraugen flehte sie die Eltern an, Tennis spielen zu dürfen. Die Mutter hatte Erbarmen und brachte den kleinen Quälgeist zum Moskauer Tennisclub VITA Sport, wo Chakvetadze heute noch trainiert. Vom ersten Moment an liebte sie diesen Sport. Das Klavierspielen durfte sie aufgeben. Höchste Priorität hatte jedoch immer die Schule. Dreimal die Woche trainierte sie in einer Gruppe mit vier oder fünf Schülern im Vergleich zum Trainingspensum anderer Spitzenspielerinnen in diesem Alter ein lächerlich geringer Zeitaufwand. Die Schule abzubrechen und in die USA zu gehen, um sich dort zum Tennisprofi ausbilden zu lassen, wie es viele ihrer Landsfrauen getan haben, kam für Chakvetadze nie in Frage. Ich habe mein ganzes Leben in Moskau verbracht und meine Eltern wollten unbedingt, dass ich meinen Schulabschluss mache, sagt sie und lächelt zufrieden.
Erst als sie zwölf Jahre alt war, besorgten die Eltern ihr einen professionellen Coach. Dann bin ich besser geworden, weil ich einfach mehr trainiert habe, versichert die 20-Jährige und scheint davon überzeugt, dass beinahe jeder junge Spieler durch ein bisschen mehr Training im Alter von 14 Jahren in den Top Ten der Junioren stehen könnte so wie es bei ihr der Fall war. Mit dem Schulabschluss in der Tasche wagte sie sich schließlich auf die Profitour allerdings ohne Tourcoach. Auch heute reist sie noch ohne Trainer. Diese Rolle übernimmt ersatzweise Vater Djambuli. Der ehemalige Fußballprofi begleitet sie zu fast jedem Event. Während Chakvetadze in den USA unterwegs ist bekommt sie zusätzlich Unterstützung von Robert Lansdorp, mit dem sie in Kalifornien trainiert. Der Amerikaner hat schon Stars wie Pete Sampras, Tracy Austin und Maria Sharapova betreut. Zudem steht ihr der Niederländer Eric van Harpen mit Ratschlägen und Tipps zur Seite. Gerüchte, dass Patty Schnyder-Coach Rainer Hofmann sie betreut, weist Chakvetadze zurück. Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat, sagt sie. Wir sind befreundet, und deswegen schaut er oft bei meinen Matches zu, so wie zum Beispiel bei den French Open. Aber das ist alles.
99 rote Rosen
Ständig auf Tour zu sein und rund um die Welt zu reisen, gefällt der fröhlichen Spielerin. Auch wenn sie deswegen nur noch selten in ihrer Heimat ist. So oft es geht, kehrt sie nach Moskau zurück. Dort kann sie Freunde treffen, einfach nur Spaß haben und durch die Clubs ziehen. So wie sie es an ihrem 20. Geburtstag im März getan hat. Als eine Freundin ihr 99 Rosen schenkte ihre Lieblingsblumen , die Chakvetadze aus Platzmangel in der Badewanne verstaute.
Doch nicht nur ihre engsten Freunde leben in Moskau, auch ihr Bruder ist dort. Nur selten kann sie Zeit mit dem nach eigener Aussage so gut aussehenden kleinen Roman verbringen. Der Neunjährige geht noch zur Schule, darf aber hin und wieder seine große Schwester auf Turniere begleiten und dort meist ihre Erfolge beklatschen. Vor allem in diesem Jahr feiert Chakvetadze einen Triumph nach dem anderen. Vier Titel hat sie 2007 bereits gewonnen. Bei den Grand Slam-Turnieren in Melbourne und Paris erreichte sie das Viertelfinale. Ihre Bilanz bei WTA-Events: sechs Finalteilnahmen, sechs Siege. Ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, hat sie sich bis in die Top Ten gespielt. Im Vergleich zu den vielen Glamour-Girls auf der Tour wirkt die Spielerin mit dem komplizierten Namen (in deutscher Schreibweise auch Tschakwetadse) unscheinbar. Die geringe Beachtung der Medien bedauert sie aber nicht. Öffentliche Aufmerksamkeit interessiert mich nicht, sagt sie mit Nachdruck. Das Einzige, worum es mir geht, ist mein Tennis und mein Ranking.
Ein Hauch von Glamour
Ein klein wenig Luxus und Glamour darf es aber auch bei Chakvetadze sein. Sie liebt es, shoppen zu gehen, bummelt oft durch die Innenstädte, immer auf der Suche nach schicken Klamotten, Schmuck oder Haarspängchen. Ihre größte Leidenschaft nach Tennis sind Sportwagen. Später möchte ich einen Ferrari fahren, sagt sie. Und das, obwohl sie fürchtet, den Flitzer nicht über Moskaus Fahrbahnen manövrieren zu können. Die Straßen in Russland sind eben nicht so gut wie in Deutschland, lacht sie. Erst vor kurzem hat sie den Führerschein gemacht und sich ihr erstes Auto gekauft: einen Lexus. Mit dem Wagen ist sie vorerst zufrieden. Außerdem haben die Eltern gesagt, es sei noch zu früh für einen schnellen Sportwagen.
Smarte Psychologin
Schnelligkeit spielt in Bezug aufs Tennis bei Chakvetadze eine untergeordnete Rolle. Ihr Spiel ist nicht das typische Powertennis, wie man es von einer Maria Sharapova oder den Williams-Schwestern kennt. Ich habe nicht so viel Kraft wie sie, deswegen spiele ich smart, erklärt die Rechtshänderin. Statt kraftvolle Schläge übers Netz zu donnern, nutzt sie geschickt die Schwächen ihrer Gegnerinnen aus. Vielleicht ist es das Psychologie-Studium, das ihr auf dem Court den entscheidenden Vorteil verleiht. Ihre Eltern hatten ihr nach der Schulzeit nahegelegt, sich trotz Profitenniskarriere weiterzubilden. Seitdem schleppt Chakvetadze unzählige Bücher von Turnier zu Turnier, schreibt Tests im Internet und büffelt eifrig in den Hotelzimmern dieser Welt. In einem Jahr will sie ihren Abschluss machen. Dann kann sie sich ausschließlich aufs Tennis konzentrieren und weiter die Spitze anpeilen. Die Top Ten zu knacken, war ein tolles Gefühl, aber ich kann noch mehr, sagt Anna Chakvetadze selbstbewusst. Und eines ist sicher: Man wird sich daran gewöhnen müssen, diesem Namen in welcher Schreibweise auch immer in Zukunft öfter zu begegnen.
Nina Hoffmann
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