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James Blake – Der Charakterkopf

Was für ein Match! Dieser Fünfsatz-Krimi gegen Andre Agassi. Wer sich mit James Riley Blake beschäftigt – in Zeitungsartikeln, Magazinen, in Interviewräumen oder auf den Courts dieser Welt – , stolpert immer wieder über die legendäre Nightsession im Arthur AsheStadium. US Open 2005, Viertelfinale. Manche sagen, es sei eines der besten Matches gewesen, die je in New York gespielt wurden. Die ersten beiden Sätze gewinnt Blake, die Durchgänge drei und vier Agassi. Im entscheidenden fünften Satz spielen beide gigantisch, produzieren Gewinnschläge aus allen Lagen. Aber einer muss siegen. Am Ende ist es Agassi im Tiebreak.

Dieses 6:3, 6:3, 3:6, 3:6, 6:7 in einer schwülwarmen Nacht im New Yorker Stadtteil Queens steht stellvertretend für die ganze bisherige Karriere Blakes. Sie begann vielversprechend, drohte jäh zu enden und setzt sich schließlich auf einem viel höheren Niveau fort. „Meine ganze Karriere ist eine Achterbahnfahrt“, sagt James Blake. Eine grobe Untertreibung, wenn man bedenkt, dass Höhenflüge, Triumphe, Pleiten und Verletzungen zum Alltag eines Profis gehören. Doch es gibt niemanden auf der Tour, der solche Schicksalsschläge hinnehmen musste wie Blake.

Den ersten gab es schon in der Kindheit. Blake war 13 Jahre alt, als die Ärzte eine schwere Rückenkrankheit bei ihm diagnostizierten – Skoliose. Dabei ist die Wirbelsäule wie ein C gebogen und nicht, wie es eigentlich sein sollte, wie ein S. Nach einer Operation hätte Blake wahrscheinlich nie mehr auf einem Tennisplatz stehen können. „Also bekam ich eine Art Korsett“, sagt Blake. 18 Stunden am Tag, fast während seiner gesamten Highschool-zeit, musste er es tragen. Es reichte von den Schultern bis zur Hüfte. In den wenigen Stunden, in denen er die furchterregende Apparatur ablegten durfte, versuchte Blake so gut wie möglich zu trainieren.

Er hat sich durchgebissen. Mehr noch: Der Sohn eines Afro-Amerikaners und einer weißen Britin wurde der beste Collegespieler in den USA. Es war der Beginn seiner – wenn man so will – ersten Karriere. „New Balls, please“ forderte die ATP damals in ihrer Kampagne – neue Typen, bitte – , und plötzlich war er da: Blake, James Blake. 22 Jahre alt, eine Mischung aus Yannick Noah und Bob Marley. Der Sunnyboy mit den Rastalocken zierte die Titel von Lifestyle-Magazinen. Er präsentierte seinen muskulösen Körper für IMG Models, der Tochterfirma seiner Management-Agentur. „Blake ist sehr talentiert, sehr smart, sehr schillernd. Er hat kapiert, wie wichtig Fitness im Tennis ist“, schwärmte Nick Bollettieri, der berühmteste Trainer der Welt, damals.

Auf dem Platz beeindruckte Blake vor allem mit seiner schnellen Vorhand. Ende 2003 war er die Nummer 37 der Welt, Tendenz steigend.

Ein paar Monate später passiert das, was Blake später, so verrückt es klingt, „als Glücksfall“ bezeichnete. Der Amerikaner, damals die Nummer 22, tritt beim Turnier in Rom an. Beim Training spielt Robby Ginepri einen Stopp, Blake versucht ihn zu erlaufen, stolpert und kracht kopfüber mit voller Wucht an einen Netzpfosten. „Es war der schrecklichste Anblick, den ich je erlebt habe“, sagte sein Coach Brian Barker, der das Training geleitet hatte. Blake blieb regungslos liegen, wurde ins Krankenhaus transportiert, geröntgt. Diagnose: zwei gebrochene Halswirbel. Aber er hatte Glück. In ein paar Monaten werde er wieder spielen können, bestätigten ihm die Ärzte. Sein amerikanischer Doktor verriet allerdings auch: „Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre sein Leben lang gelähmt gewesen.“

Nur ein paar Wochen später folgte der nächste schwere Schlag. Blakes Vater Tom starb an Magenkrebs. Er war es, der seinem Sohn das Tennisspielen beibrachte. Als James fünf Jahre alt war, nahm sein Dad ihn mit nach Harlem. Dort im Ghetto betreute Blake senior ein Juniorenprogramm, das Kinder von der Straße zum Tennis bringen sollte. Tom Blake formte seinen Sohn nicht nur auf dem Platz, er lehrte ihn auch, jedem Menschen mit Respekt und Achtung zu begegnen.

Die gebrochenen Wirbel, der Tod des Vaters – all das war zu viel für Blake. Eines Morgens wachte er auf und stellte fest, dass die eine Seite seines Gesichts gelähmt war. Ein Virus (der sich Zoster nennt) hatte einen Nerv blockiert. Blake konnte monatelang schlecht hören und sehen. Er litt unter Gleichgewichtsstörungen und fürchterlichen Schmerzen. Als er nachts schlief, konnte er nur ein Auge schließen. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die unter enormem emotionalen und körperlichen Stress stehen, von diesem Virus befallen werden“, erklärte Dr. David Altchek, sein ehemaliger Davis Cup-Arzt.

Pokern und Fernsehen

Aber Blake wollte wieder spielen. Nur zwei Monate nach seinem Unfall in Rom trat er beim Turnier in Washington an. In der ersten Runde verlor er gegen den unbekannten Chilenen Adrian Carcia 1:6, 4:6, ein Erlebnis, das Blake mit den Worten beschrieb: „Es war die schlimmste Erfahrung, die ich jemals auf einem Tennisplatz gemacht habe. Ich fühlte nichts.“ Blake bestritt 2004 noch ein Turnier (Delray Beach). Dann war klar: Es funktionierte nicht.

Es folgten Monate, die Blake zu Hause verbrachte. Er zappte sich durch die TV-Kanäle, entdeckte seine Begeisterung für Online-Poker und wartete auf Arzttermine. Aber er trainierte auch wieder mit seinem treuen Coach Barker, mit dem er schon zusammenarbeitete, als er erst elf war. Die letzten Monate des Jahres 2004 absolvierte er ein Trainingsprogramm, das ihn, wie sich später herausstellen sollte, stärker machte als je zuvor. „Wir haben an seinem Return, seiner Rückhand und seinem Defensivspiel gearbeitet. Ohne seine Verletzung hätten wir keine Zeit gehabt, so lange an diesen Schwächen zu arbeiten“, sagt Coach Brian Barker. Erst Anfang Januar 2005 war Blake wieder vollständig genesen. Er konnte sein eines Auge wieder schließen und lächeln (was vorher allein physisch unmöglich war). Doch der Absturz in der Rangliste folgte noch, da Blake all seine Punkte des Vorjahres verlor. Im April 2005 war er nur noch die Nummer 210 der Welt. Am Ende der Saison hatte er sich auf Platz 24 zurückgekämpft. Höhepunkt des erstaunlichen Comebacks: das besagte Match gegen Agassi bei den US Open, zu dem Blake nur mit einer Wildcard antrat.

Blakes Metamorphose

„Die schwierigen Zeiten haben ihn zu einer stärkeren Person auf und neben dem Platz gemacht“, sagt Jimmy Courier, der heute für das US-Fernsehen kommentiert. Äußerlich zeigt sich die Metamorphose Blakes an seinem kahlgeschorenen Kopf. Der einstige Rasta-Man ist zum Charakterdarsteller geworden. Darin – und auch in seinem Reifungsprozess – ähnelt er Andre Agassi: „Ich war früher viel zu ungeduldig, wollte den frühen Punktgewinn“, sagt Blake. Und: Ihn, der so viel durchgemacht habe, könne eine Niederlage nicht mehr schocken.

Seit März 2006 steht Blake in den Top Ten – als erster Schwarzer seit Arthur Ashe 1979. Was Blake fehlt, ist ein Titel bei einem großen Turnier. „Ich bleibe hungrig“, verspricht Blake. Daran zweifelt niemand.

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