Aus dem Achriv: Tatjana Maria – mit Kind und Kegel
Tatjana Maria hat das Achtelfinale in Miami erreicht – eine der besten Leistungen ihrer Karriere. 2008 stand diese schon einmal auf dem Spiel – genau wie ihr Leben! Dann lernte sie ihren Ehemann kennen. Er wurde ihr Trainer, stellte Marias Rückhand um und das „Familienunternehmen“ nahm Fahrt auf. tennismagazin.de traf Maria während der US Open 2017 und sprach mit ihr über das Leben mit Kind auf der Tour.
Die Terrasse des Medien-Restaurants ist hoffnungslos überfüllt. Kein Tisch und kein Stuhl ist mehr frei. Eigentlich sind wir zum Gespräch mit Tatjana Maria verabredet. Sie hat gerade ihr Erstrundenmatch bei den US Open gewonnen. So leicht wie ihr das 6:1, 6:1 gegen die amerikanische Wildcard-Starterin Ashley Kratzer von der Hand ging, so schwer ist die Suche nach einem ruhigeren Platz auf dieser hektischen Anlage. Nächster Versuch im „Players Garden“. Aber auch dort das gleiche Bild – alle Gartenstühle und Loungesofas besetzt. „Von mir aus setzen wir uns auch auf den Boden“, sagt Maria. Gesagt, getan. Es folgt eine halbe Stunde Unterhaltung in „Picknick im Park“-Atmosphäre auf kratzigem Kunstrasen-Grün.
Das Wetter an diesem Septembertag ist herrlich, die Sonne scheint. Das passt hervorragend zum Gemütszustand der vor kurzem 30 Jahre alt gewordenen Maria. Mit diesem Alter zählt man heutzutage längst nicht mehr zu den „Omas“ auf der Tour. Maria zählt aber zu den Mamas. Seit sie nach der Geburt ihrer Tochter Charlotte im Dezember 2013 zurück ist im Circuit, reist die Mutter nicht mehr ohne die Tochter. Und auch nicht ohne Ehemann. Denn der ist passenderweise auch ihr Trainer.
Charles Edouard Maria, ein Franzose und früherer Profi „irgendwo zwischen Platz 300 und 400“ (Maria) heiratete Tatjana Malek im Frühling 2013. Tatjana lernte den heute 43-jährigen Charles 2012 über ihren damaligen Coach kennen. Charles sollte sie auf die US Open vorbereiten. Dabei blieb es nicht. Sie wurden sportlich und privat ein Paar. Seitdem hat sich viel mehr als nur der Nachname der gebürtigen Schwäbin geändert.
Änderung der Rückhand
In der Vorbereitung auf ihr Comeback nach der Geburt Anfang 2014 wagten sie eine der wohl technisch schwierigsten Änderungen, die man sich im Tennis vorstellen kann. Maria, damals 26, spielte die Rückhand fortan nur noch einhändig. Sie gingen den gleichen Weg, den Günter Bresnik mit Dominic Thiem beschritt, nur zu einem viel späteren Zeitpunkt der Karriere. „Anfangs hatte ich schon Angst davor, aber Charles war absolut überzeugt und ich habe gesagt: ‚Okay, wir versuchen es! Wenn es schief geht, habe ich immer noch meinen Slice“‘, erzählt Maria und kann dabei lachen. Es ging alles andere als schief. „Im Nachhinein war es das Beste, was wir machen konnten“, resümiert sie.
Mitte Oktober 2017 erreichte sie zum ersten Mal in ihrer Karriere die Top 50 und stieg nebenbei zur deutschen Nummer drei im Ranking auf – hinter Angelique Kerber und Julia Görges. Der Fed Cup, für den sie zwischen 2006 und 2011 neunmal nominiert wurde, scheint plötzlich wieder in Reichweite. Bereits im Mai 2015 sagte Maria in einem Interview mit tennisMAGAZIN: „Ich wäre stolz, noch einmal für Deutschland auflaufen zu dürfen.“ Und der Traum wird wahr: Für die erste Runde des Fed Cup 2018 wird Maria nominiert und gewinnt ein Einzel und das Doppel. Im Halbfinale ist die nächste Nominierung möglich. Die Rückkehr mit neuer Rückhand – sie hätte nicht besser laufen können.
Man merkt Maria an, dass sie den sportlichen Erfolg und das Zusammensein mit ihrer Familie vollends genießt. Alles kann, nichts muss. „Für mich ist die Familie das Wichtigste und dass wir zusammen Zeit verbringen. Wenn das nicht möglich wäre, wäre ich jetzt nicht mehr hier.“ Maria weiß ihr Glück zu schätzen, weil sie bereits einen anderen Einschitt in ihrem Leben hinter sich hat. Der hatte mit Genuss nichts zu tun. Es ging nur um das Verkraften. Das Jahr 2008 nahm ihr ihren Vater, der sie zu fast allen Turnieren begleitete. Und es hätte beinahe auch Marias eigenes Leben beendet.
Maria in Lebensgefahr
Alles beginnt mit einem Bänderriss, den sie sich im Herbst 2007 zuzieht. In dessen Folge bildet sich eine Thrombose in Marias Bein, die aber nicht erkannt wird. Heute weiß sie: „Ich wurde falsch behandelt.“ Zu Beginn der folgenden Saison spielt sie wieder Turniere, aber sie hat Schmerzen, die sie nicht deuten kann. Zunächst in der Wade, irgendwann im Oberkörper. In Indian Wells geht schließlich nichts mehr. Im Match gegen Shuai Peng bekommt sie plötzlich schlecht Luft, spielt dennoch zu Ende. Die Schmerzen werden so groß, dass sie nur noch im Sitzen schlafen kann. Ihr Vater fährt sie ins Krankenhaus. Dort bekommt sie die Diagnose: Lungenembolie. Hervorgerufen durch das Blutgerinnsel.
Eine Woche muss die damals 20-Jährige im Krankenhaus bleiben, schwebt in Lebensgefahr. Vater Heinrich ist die ganze Zeit an ihrer Seite. „Die Woche war horrormäßig. Mein Vater sprach wenig Englisch, was die Situation nicht einfacher machte“, sagt Maria mit ruhiger Stimme. Sie muss noch eine weitere Woche in Kalifornien bleiben, bevor sie wieder in ein Flugzeug steigen darf. Nach einem halben Jahr geht sie wieder bei einem Profiturnier an den Start. Sie gewinnt ihren Überlebenskampf, der Vater seinen nicht. Im Dezember 2008 stirbt der ehemalige polnische Handball-Nationalspieler an Krebs. Ein dunkles Jahr.
2009 spielt Maria ihre bis dato beste Saison, schafft es auf Rang 64. Es tritt das ein, was bei vielen Menschen, die einen tragischen Verlust erleiden, geschieht. Sie agiert wie in Trance, funktioniert einfach nur. „Ich bin rausgegangen und habe jedes Turnier nur für meinen Vater gespielt“, sagt Maria. „Das war wie ein Automatismus.“ Ihr war klar, dass das nicht immer so weitergehen konnte. „Man kann nicht sein Leben lang nur für eine Person spielen, das funktioniert nicht.“
Absturz und Rückkehr
Das Jahr geht zu Ende und ihre Kräfte auch. „Der komplette Zusammenbruch, physisch und mental“, erinnert sie sich. Es dauert fast drei Jahre, bis sie langsam wieder neuen Mut schöpft. Maria: „Ich habe mich alleine gefühlt, wusste nicht so recht, was ich machen sollte.“ Der Gedanke, alles hinzuwerfen ist da. Sie fällt im Ranking aus den Top 200. Seit dem Tod ihres Vaters fehlt ihr die familiäre Bezugsperson im Touralltag. Früher nahm sie selten einen Coach mit zu den Turnieren. Ihr Trainingsmittelpunkt befand sich am Stützpunkt des Württembergischen Tennis Bundes und bei Trainerin Christina Singer-Bath. Auf Tour ging sie außer mit dem Vater aber nur mit ihren beiden Brüdern oder Mutter Margit.
Die Wende in ihrem Leben kommt 2012 in Person von Charles. Ihr Leben bekommt wieder einen Sinn. Über ihn sagt Maria heute: „Er war das Beste, was mir passieren konnte. Er hat mich aus einem Loch herausgeholt, als ich selbst nicht mehr wusste, wie ich da rauskomme.“ Sie habe Charles viel zu verdanken.
Maria im Club der Mütter
Nun, als Mutter, ist Maria eine Trendsetterin. Bekannte Kolleginnen wie Victoria Azarenka und Serena Williams zogen zuletzt nach. Von Maria kann sich Serena noch Tipps holen, schließlich sind sie Nachbarinnen in Palm Beach. Dass die 36-Jährige Rekord-Grand-Slam-Siegerin zurückkommt, daran hat Maria keinerlei Zweifel. Es sei nur eine Frage des Zeitpunktes. „Bei so einer Schwangerschaft haben viele Dinge Einfluss darauf, wann man wieder spielen kann: Wie viel Gewicht man zunimmt, ob es eine normale Geburt ist oder ein Kaiserschnitt.“ Sie weiß, wovon sie spricht.
Apropos Williams-Schwestern. Die freuten sich riesig über Charlottes Geburt, organisierten sogar die Babyparty. Mit Venus trainierte Maria, als sie für ihr Comeback schuftete. Man verabredete sich zum gemeinsamen Barbecue. In Palm Beach wird gute Nachbarschaft gelebt. Azarenka, Williams und Maria sind längst nicht die einzigen Mütter auf der Damentour. Charlotte ist im gleichen Alter wie der Nachwuchs von Marias Profikolleginnen Kateryna Bondarenko und Evgeniya Rodina.
Über die Kinder lernten sie sich noch besser kennen, man lud sich gegenseitig nach Hause ein. Und man verabredet bei den Turnieren gemeinsame Trainingszeiten. „Dann können die Kids in der Zwischenzeit zusammen spielen“, berichtet Maria über die organisatorischen Aufgaben einer Tennis-Mama. Bei den Grand Slams gibt es immer einen Kinderhort, wo die Profis ihren Nachwuchs für die Zeit der Matches und des Trainings abgeben können. Dort toben die Kids der spielenden Mamas und Papas gemeinsam. „Man muss aber aufpassen, weil es durchaus qualitative Unterschiede bei den Einrichtungen gibt“, schmunzelt Maria.
Familie Maria auf der Tour
Daher trifft es sich gut, dass die Marias nicht ausschließlich auf die von den Turnieren bereitgestellte Kinderbetreuung angewiesen sind. Oft geht nämlich auch die Schwiegermutter mit auf Reisen – und kümmert sich um Charlotte. Ein echtes Family-Business, ein internationales dazu. Oma Maria stammt aus Kolumbien, spricht spanisch, Charles französisch, Tatjana deutsch und gelebt wird in Florida. Tochter Charlotte wächst quasi viersprachig auf und hat beste Voraussetzungen, ein echtes Sprachtalent zu werden.
Maria selbst unterhält sich mit ihrem Mann meist auf Englisch, versteht aber dessen Muttersprache inzwischen ebenfalls sehr gut. Und auch Charlotte weiß mit ihren dreieinhalb Jahren schon, was los ist. „Sie scheint vieles zu verstehen, weil sie manchmal einfach antwortet, wenn wir Erwachsenen uns unterhalten“, erzählt die stolze Mama. Auch in Sachen Reisen ist die Kleine fit. Das Fliegen ist inzwischen zur Routine geworden. Das macht Charlotte schließlich schon, seitdem sie drei Monate alt ist. „Sie geht auf den Flughäfen bereits voran und zeigt uns, wo wir lang gehen müssen“, sagt ihre Mutter, die brav den Vorgaben folgt.
Was hat sich im Profi-Alltag am meisten geändert? „Man geht anders an die Sache heran. Als Mama hat man eine Aufgabe, will das Beste für sein Kind. Ich möchte, dass es Charlotte gut geht, dass sie Spaß hat und es genießt, Kind zu sein. Das ist das Wichtigste.“ Auf dem Platz, versichtert sie, hat sich nichts verändert. „Ich versuche mich immer weiter zu verbessern, bin nervös vor den Matches.“ Nur das Drumherum ist anders: „Man richtet die Planung mehr nach Charlotte, nicht nach uns.“
Ob dadurch nicht die Gefahr bestehe, den Fokus zu verlieren? Maria grinst. „Roger Federer hat das gleiche Problem. Ich denke, auch er spielt mit seinen vier Kids, wenn er vom Training nach Hause kommt.“ Für sie ist es eher die perfekte Abwechslung vom Tennis: „Für die Kinder ist es egal, ob du gewinnst oder verlierst, ob du ein gutes oder schlechtes Training hattest.“ Genau diese Umbekümmertheit ist es, die Maria so gut tut.
Mit ihrem Mann ist sie ständig zusammen. Damit sich das in der täglichen Arbeit nicht abnutzt, holen sie sich regelmäßig neue Impulse für den Court. Auf die US Open bereitete sie ein befreundeter Coach und Hittingpartner vor. Das sei wichtig. „Wir versuchen, immer wieder einen anderen Einfluss in die Trainingsarbeit hineinzu-bringen“, erklärt Maria.
Der Turnierplan könnte sich im kommenden Jahr ein wenig ändern. Maria, die bislang öfters kleinere Events auf der ITF-Tour einstreute, kommt als Top 50-Spielerin nun regelmäßiger in die Hauptfelder der großen Turniere. Auch in der Bundesliga ist sie am Ball. Letztes Jahr wurde sie zum zweiten Mal mit dem TC Rot-Blau Regensburg Deutscher Meister. Je nach den Ergebnissen auf der Tour versucht sie zu zwei bis drei Bundesligapartien einzufliegen. Maria: „Es macht mir immer Spaß, daher wäre es schön, wenn das auch weiterhin klappt.“
Gedanken an das Aufhören verschwendet sie übrigens noch nicht. Sie lebt von Tag zu Tag, will auf jeden Fall noch so lange weiterspielen, bis Charlotte eingeschult wird. Bis dahin sind es noch gute zwei Jahre. Und dann hat sie bereits weitere Pläne „Ich möchte noch mehr Kinder haben.“ Und dann aufhören? Von wegen! „Wenn man Venus sieht, mit ihren 37 Jahren, da kann ich auch noch locker mein zweites Kind bekommen und auf die Tour zurückkehren.“ Maria lacht wieder. Wenn sie es nicht selbst betont hätte, man hätte es auch ganz leicht so erkennen können: Sie macht sich keinen Stress. Im Gegenteil: Tatjana Maria kann ihr Tennis und das Leben genießen wie noch nie.
Florian Vonholdtdo nike outlets sell jordan 1 | men’s jordan retro release dates