Auszeiten im Tennis: „Mut zur Pause”
Viel hilft viel ist als Motivation für Leistung widerlegt. Stattdessen gelten Auszeiten als wichtige Tools für die Balance zwischen An- und Entspannung sowie ein gutes Ergebnis. Ein Gespräch mit dem Sportpsychologen Dr. Sebastian Altfeld, der ein Buch mit dem Titel: „Das Einmaleins des Erholens” geschrieben hat.
Interview: Martina Goy
Erschienen in der tennis SPORT 1/2024
Herr Altfeld, was ist die Motivation, sich intensiv mit den Themen Pausen und Erholung zu beschäftigen?
Sebastian Altfeld: Ganz banal Alltags- und Praxisbeobachtungen. Ich nehme zunehmend wahr, dass Menschen, egal ob im Sport oder im Beruf, Belastungen nicht mehr gewachsen sind, weil über lange Zeit der passende Ausgleich fehlt. Das ist deshalb auffällig, weil in unserer schnelllebigen Zeit Leistungserfüllung komprimierter denn je erfolgen soll. Achtet man in diesen Phasen nicht auf sich, kann eine Untererholung die Folge sein.
Was heißt das im Sport?
Altfeld: Ein Athlet trainiert immer mehr, um ein Defizit auszugleichen. Er strengt sich noch mehr an, weil nicht schnell genug eine positive Änderung passiert oder eine nicht ganz optimale Leistung gezeigt wird – was übrigens ganz normal ist. Pausen, Erholung spielen keine Rolle in seiner Planung. Aber viel hilft viel ist in diesem Fall nicht die Lösung…
Sondern…?
Altfeld: Ohne Erholung kann man sein Potenzial nicht abrufen. Statt immer härter zu trainieren, sollte man wissen, welche Pausen wann und wie lange eingehalten werden sollten, um wieder in einen ausgeglichenen Zustand zu kommen, der dann auch Leistungssteigerungen möglich macht. Das gilt sowohl für die körperliche als auch für die mentale Verfassung.
Also machen Pausen und Erholung den Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage?
Altfeld: Nicht unbedingt. Aber wenn beispielsweise zwei Tennisspieler aufeinandertreffen, die die gleichen Fähigkeiten haben, sich technisch und taktisch auf einem Niveau begegnen, dann entscheiden der bessere Kopf und die bessere Erholung.
Im Klartext, wer geht besser mit Belastungen um?
Altfeld: Genau. Wenn ich mich falsch erhole, meine Pausen nicht optimal gestalte oder gar nicht, dann erschwert dies meine Leistungserbringung.
Heißt das im Umkehrschluss, ich brauche sogar für die Erholung und Pausen einen Plan?
Altfeld: Definitiv. In einem Spiel muss ich wissen, wie ich die Spielpausen sinnvoll nutze, damit ich in der entscheidenden Phase voll da bin. Unser Kopf kann keine vier Stunden hoch konzentriert sein, noch nicht einmal eine Stunde. Deshalb sollte ich mir vorab Gedanken machen. Was hilft in der Pause, um kurzfristig den Kopf zu erholen und wieder voll da zu sein? Moderne Spitzenathleten trainieren mit Leistungssteuerung. Das ist selbstverständlich. Aber auch im Alltag, in der Freizeit, macht die richtige Dosierung von An- und Entspannung Sinn. Nicht nur der Körper braucht die richtigen Nährstoffe, Flüssigkeit, Trainingseinheiten und Zeit für Regeneration, auch der Kopf braucht Pausen, damit man nicht in ein Konzentrationsloch fällt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man Defizite auch akzeptiert.
Wie meinen Sie das? Mir gelingt etwas nicht, und ich ärgere mich trotzdem nicht darüber?
Altfeld: So in etwa. Wissen ist Voraussetzung für Veränderung. Dazu gehört eine realistische Selbsteinschätzung, also Ziele, die ich erreichen kann. Kein Mensch kann über Stunden die Konzentration hochhalten. Wenn ich das weiß, kann ich meine Pausen anders gestalten. Beispielsweise beim Seitenwechsel. Wenn ich weiß, was mir zwischen den Ballwechseln guttut, bin ich viel eher in der Lage, die nächsten Spiele positiv für mich zu gestalten.
Das heißt beispielsweise Atemübungen?
Altfeld: Atemübungen können ein Vehikel sein. Oder auch kurz die Augen schließen, einmal weggehen vom Spiel und dem, was ich ändern will. Wichtig ist, Strukturen zu schaffen, zu wissen, wann muss ich den Schalter an, und wann ausschalten.
Kann man das lernen?
Altfeld: Ja. Aber zuerst sollte man ein Bewusstsein dafür entwickeln. Warum ich das sage? Viele gehen naiv an so eine Pausengestaltung und stellen nach dem Spiel fest, dass die Konzentration im Spiel abgefallen ist. Eine unbewusste Pausengestaltung kann dazu führen, dass ich vielleicht Dinge in der Pause tue, die eventuell kontraproduktiv sind. Beispielsweise nach einem verlorenen Breakball weiter darüber nachdenken und hadern, bis die Pause vorbei ist. So ist die Pause jedoch nicht erholsam. Und mit diesem Defizit gehe ich weiter in das Spiel. Einmal ist das kein Problem. Aber falls dies in mehreren Pausen passiert, hat dies Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Deshalb ist es wichtig, dass man weiß, wie ich eine Pause schaffe, die mir guttut.
Was kann ich außer Atemübungen noch tun?
Altfeld: Es gibt ein paar Methoden, die man schnell lernen kann: progressive Muskelentspannung zum Beispiel. Zudem sollte man wissen, wie man mit Gedanken und Gefühlen umgeht. Das heißt, wenn die negativen Gedanken kommen, nicht ärgern, sondern annehmen, denn sie gehören zur Realität dazu. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass niemand perfekt ist. Dann kann ich mich auch wieder positiv motivieren.
Gehört das Streben nachPerfektionismus nicht zur Leistung?
Altfeld: Gegen gesunden Perfektionismus ist nichts einzuwenden. Gemeint ist der Wunsch, im Sinne von, es wäre schön, etwas möglichst gut zu können. Aber es gehört auch das Verständnis dazu, dass niemand immer perfekt sein kann und dies vollkommen okay ist.
Social Media vermittelt etwas anderes. Geliebt wird, wer perfekt ist. Perfekter Körper, perfekter Geist…
Altfeld: Das ist ein Problem. Gerade Kinder und Jugendliche sind diesem Anspruch relativ ungeschützt ausgesetzt. Es ist wichtig, zu vermitteln, dass niemand perfekt ist. Dass niemand ohne Pause Bestleistungen abliefern kann, dass Pausen kein Zeichen von Schwäche sind. Und dass Work-Life-Balance seine unbedingte Berechtigung hat.
Auch schon bei jungen Menschen?
Altfeld: Es ist ungerecht, die aktuelle Generation als Yoga-Generation abzuqualifizieren. Vielmehr ist es gut, dass Themen wie Gesundheit einen wichtigen Stellenwert haben. Die Jugend von heute ist kompetenter als noch vor 30 Jahren, was diese Themen betrifft. Deshalb haben sie auch andere Vorstellungen davon, wie sie ihren Arbeitsalltag gestalten wollen. Sie wissen, dass permanente Anforderung, Überforderung, nicht die Messlatte sein sollte.
Welche Rolle spielt der Sport in dieser Gemengelage?
Altfeld: Die passende Abstimmung zwischen An- und Entspannung kann man vom Sport lernen. Studien zeigen, dass man ohne Erholung nicht sein Potenzial abrufen kann. Das sollte man wissen, wenn man sich den Tagesablauf beispielsweise von jungen Tennisspielern anschaut. Erst Schule von acht bis 16 Uhr, danach Training, Hausaufgaben, am Wochenende Fahrten zum Turnier. Alles getaktet. Es bleibt kaum Zeit für Erholung.
Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Trainer?
Altfeld: Trainer müssen noch viel mehr so ausgebildet werden, dass sie auf Untererholung achten und ihren Schülern Tools dagegen vermitteln. Dazu gehört das Wissen, dass sich unsere Lebenswelten erheblich verändert haben. Auch im sportlichen Training. Jugendliche heute haben viel weniger Zeit als früher, müssen aber trotzdem hohen Anforderungen aus unterschiedlichen Themenbereichen genügen. Das kann Stress auslösen und das Gefühl, ich tue nicht genug für meine Ziele. Deshalb plädiere ich nachdrücklich für Pausen und ihre positive Gestaltung.
Dr. Sebastian Altfeld arbeitet als Sportpsychologe, klinischer Psychologe und Psychotherapeut. Er ist für das Bundesinstitut für Sportwissenschaft tätig, leitet u.a. die sportpsychologischen Inhalte der Trainerausbildung des Deutschen Basketball Bundes und ist Referent beim DOSB.
„Das kleine Einmaleins der Erholung“: Sebastian Altfeld. Lemon Media.
Preis: 12,90 Euro.