Bewegungsforscher Brendon Stubbs: „Wir müssen uns den Stress zu Nutze machen”
Dr. Brendon Stubbs, Forscher auf dem Gebiet der Bewegung und der psychischen Gesundheit, spricht im Interview darüber, wie man mit Stress auf dem Platz umgeht und wie man seine mentale Gesundheit verbessert.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 4/2023
Herr Stubbs, wie sieht Ihre Arbeit als Bewegungsforscher aus?
Ich beschäftige mich in meiner Forschung seit 20 Jahren mit der Wichtigkeit eines optimalen Körpergefühls und Gemütszustandes. Mein Interesse an der Forschung stieg, als ich vor 20 Jahren mit Fußballspielern aus der Premier League zusammenarbeitete. Ich habe mich gefragt, welche Auswirkungen eine Verletzung auf die mentale Gesundheit hat. Ich würde mir nicht nur beispielsweise eine Knieverletzung isoliert anschauen, sondern wie den Sportler diese als Person beeinflusst. Die Spieler gehen nach Hause und können am Wochenende nicht spielen. Das ist viel mehr als eine Knieverletzung. Wir können nicht nur das Knie behandeln, sondern müssen die gesamte Person sehen. Mein Interesse an der Parapsychologie, der „Seelenkunde“, wuchs immer mehr: Welche Auswirkungen haben Sport und Bewegung, um die Gesundheit und das Wohlbefinden zu steigern? In den letzten Jahren haben wir viele Studien dazu veröffentlicht, wie Sport und Bewegung den Leuten dabei helfen, sich gesund und glücklich zu fühlen und gleichzeitig ihre mentale Gesundheit in der Zukunft zu schützen.
Was passiert in unserem Körper und in unserem Geist, wenn wir uns bewegen?
Es gibt nichts in unserem Körpersystem, sei es Herz oder Lunge, das bei Bewegung nicht aktiviert wird. Warum fühlt man sich gut, nachdem man Übungen oder Training gemacht hat? Wir haben uns das im Gehirnscanner angeschaut. Die kurze Antwort ist: Wir versuchen immer noch es herauszufinden. Aber wir sind ziemlich sicher, dass es ein komplexes und multifunktionelles System ist, das uns gut fühlen lässt. Wenn wir trainieren, wird in unserem Gehirn der Hippocampus sowie der präfrontale Cortex sofort stimuliert. Das reduziert Zustände wie Depression oder Angst. Wir sehen auch, dass das Endocannabinoide System stimuliert wird, das ist ein emotionaler Teil des Gehirns. Es wird das Glückshormon Serotonin freigesetzt sowie das Protein BDNF. Dieses ist ein sogenannter Hirndünger und hilft dabei, neue Nervenzellen und Synapsen zwischen den verschiedenen Arealen zu verbinden und zu formen. Im Körper sehen wir eine Reduktion von Entzündungen, wir sehen eine Verbesserung der Herzwerte und viele andere Dinge. Beim Sport haben wir zudem soziale Interaktionen. Wir sind im Wettbewerb und erreichen unsere Ziele. Es gibt also auch einen psychosozialen Mechanismus, der uns gutfühlen lässt. Ein allgemein anerkannter Glaube ist, dass wir ein Hoch nach einem Training bekommen durch die Ausschüttung von Endorphinen. Neue Studien haben gezeigt, dass Endorphine nicht allzu leicht übers Blut ins Gehirn gelangen, sodass der Effekt entsteht, der zu Wohlbefinden führt. Wir sind daher ziemlich sicher, dass wir uns gut fühlen nach einem Training nicht nur wegen der Endorphine, sondern wegen all dieser Mechanismen.
Die Firma Asics, mit der Sie gemeinsam geforscht haben, hat den Mind Uplifter für die Verbesserung der mentalen Gesundheit kreiert. Wie funktioniert dieser?
Das ist eine coole Neuerung, bei der man das Gesicht scannt und dadurch Rückschlüsse über den Gemütszustand nach Sport machen kann. Derzeit gibt es keine Messmethode, wie die mentale Gesundheit auf Training reagiert. Wir wollten einen zuverlässigen Weg entwickeln, um die mentale Gesundheit vor und nach dem Training zu messen. Was taten wir? Wir schlossen die Leute während des Trainings ans Elektroenzephalogramm (EEG) an, um zu schauen, welche Gehirnfunktionen während des Trainings reagieren. Wir fanden zehn Hauptareale, die auf die emotionale Gesundheit mit positiven Gefühlen wie Zufriedenheit, Ruhe, Selbstbewusstsein eine Auswirkung haben. Diese Ergebnisse aus dem EEG haben wir in den sogenannten Mind Uplifter transferiert. Wir benutzen hierbei eine Gesichtsscanner-Technologie, eine spezielle Computertechnologie, die sich die Gesichtskonturen anschaut und daraus den emotionalen Zustand erfasst. Anschließend werden wissenschaftliche Fragen beantwortet, um die Gehirnfunktion zu messen. Nach einer Sporteinheit von 20 Minuten wird das Gesicht erneut gescannt, um zu schauen, wie sich der emotionale Zustand durch Training oder Übungen verändert hat.
Mentale Gesundheit ist ein großes Thema im Sport. Was kann jeder tun, um seine mentale Gesundheit zu verbessern?
Das Wichtigste ist, dass man einen Sport oder eine Bewegung findet, die man genießt. Man muss nicht ins Fitnessstudio für 90 Minuten gehen und intensive Einheiten absolvieren, um sich gut zu fühlen. Wenn einem das Spaß bringt, sollte man das tun. Wenn man eine Bewegung gefunden hat, die einem Freude bereitet, wird man das nicht nur jetzt tun, sondern auch in Zukunft. In unseren Forschungen konnten wir feststellen, dass bereits eine Aktivität von 15 Minuten und neun Sekunden eine bedeutende Verbesserung bei der mentalen Gesundheit bewirkt. Zusätzlich zu den Vorteilen der Bewegung ist es wichtig, andere Faktoren heranzuziehen wie den Erholungsprozess wie Schlaf, gesunde Ernährung und frische Luft.
Brendon Stubbs: „Ohne Stress wären wir gar nicht motiviert”
Ist Tennis überhaupt ein geeigneter Sport, um Stress zu reduzieren, wenn man Tennis als Wettkampsport betreibt?
Stress kann hilfreich sein, um uns vorzubereiten und gut abzuschneiden im Wettkampf. Wenn wir nicht fähig wären, mit Stress in gewisser Weise umzugehen, könnten wir gar nicht einen Tennisball schlagen. Ohne Stress wären wir gar nicht motiviert, einem Ball nachzujagen. Stress hilft uns zu fokussieren, in die Zone zu finden. Wir müssen ihn uns nur zu Nutze machen. Es kommt aber häufig vor, dass der Stress zu groß auf uns lastet und wir die innere Kontrolle und die Konzentration verlieren. Das führt dann nicht zu einer optimalen Leistung. Der Stress wird nicht verschwinden, wenn wir Wettkampftennis betreiben. Wir müssen auf und abseits des Platzes Strategien entwickeln, den Stress zu identifizieren und damit umzugehen. Ein Beispiel wäre, sich Gedanken darüber zu machen, was das Worst-Case-Szenario wäre und wie man darauf reagieren möchte. Zum Beispiel wenn man den ersten Satz 1:6 verliert. Schreiben Sie Ihre ideale Reaktion auf solch ein Szenario auf. Dass man vielleicht ruhig bleiben möchte, dass man seine Spielweise ändern möchte, dass man aggressiver und fokussierter spielen möchte. Wenn man nicht weiß, wie man auf Stresssituationen reagieren kann, ist man nicht gut genug vorbereitet. Man sollte akzeptieren, dass es immer wieder Stresssituationen gibt und sich bewusst machen, dass man einen Plan hat, wie man darauf reagieren möchte. Deshalb kann die Arbeit mit einem Sportpsychologen äußerst hilfreich sein.
Viele Menschen, selbst Tennisprofis, stecken fest in negativen Routinen. Was kann man unternehmen, um neue Verhaltensweisen zu erschaffen, die gut für den Körper und die mentale Gesundheit sind?
Jedes Verhalten, jedes Verhaltensmuster und Gewohnheiten entwickeln sich häufig über die Zeit. Verhaltensweisen auf dem Platz sind Routinen, die zunächst auf dem Trainingsplatz passieren und die sich dann ins Match übertragen. All diese Routinen benötigen Training, Training und Training. Wenn man eine neue Technik lernt, sei es, wenn man seinen Schwung verändern möchte, seine Aufschlagtechnik oder irgendeine andere Routine, braucht es ausreichend Training, um das zu verinnerlichen, selbst wenn man ein hochklassiger Tennisprofi ist. Niemand führt eine neue Technik oder eine neue Gewohnheit zu jeder Zeit perfekt aus. Das Entscheidende ist, dass man sich eine Idealvorstellung ausmalt und nicht blockiert, wenn es nicht nach Plan läuft. In solchen Fällen sollte man loslassen und von vorne beginnen.
Wir leben in der Social-Media-Welt. Man wird mit kurzen Nachrichten, Videos und vielen anderen Sachen jeden Tag zugeschüttet. Wie vermeiden es Sportler, dass der Einfluss von Social Media ihnen psychischen Schaden zufügt?
Für die Stars ist es wichtig, diese Plattformen zu nutzen, um direkt mit ihren Fans oder anderen Leuten zu kommunizieren, mit denen sie auch interagieren möchten. Hier ist Social Media sehr hilfreich. Die Interaktionen sind aber nicht immer positiv. Man sollte Social Media als Ort sehen, in dem man Informationen für andere Leute bereitstellt und nicht Informationen erhält. Das sollte eine generelle Regel sein. Was möchte ich den Leuten in der Social-Media-Welt erzählen? Man sollte sich nicht darauf fokussieren, was die Leute sagen, weil man darüber ohnehin keine Kontrolle hat. Man hat die Kontrolle darüber, was man auf solche Plattformen stellt. Man hat aber keine Kontrolle, was man anschließend erhält, ob positiv oder negativ.
Gibt es Übungen, wie wir unsere Denkweise ins Positive verändern können?
Wichtig ist es, sich selbst ein Ideal zu setzen, wie man in Stresssituationen oder in negativen Zyklen, wenn man zum Beispiel sein Aufschlagspiel verloren hat, reagieren möchte. Man muss sich die Frage stellen: Wie sieht meine ideale Antwort auf solche Situationen aus? Wenn wir unsere ideale Antwort darauf gefunden haben, können wir diese Aktionen auf den Platz implementieren. Dann heißt es bei diesen positiven Verhaltensweisen wie bei allen neuen Techniken, die man lernt: üben, üben, üben!
Brendon Stubbs
Der Engländer ist der führende Wissenschaftler für Sport und mentale Gesundheit am King‘s College in London. Er hat knapp 20 Jahre klinische Erfahrung und mehr als 500 internationale wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Er ist Autor des ersten faktengestützten Buchs darüber, wie körperliche Aktivität bei Problemen mit der psychischen Gesundheit helfen kann.