Datenanalyse: Die Tiefe des Tennis
Datenbasiertes Training ist die Grundlage für besseres Spielverständnis und optimierte Technik. Clemens Wagner, Tour-Coach Profi, erklärt sein modernes Faktentennis.
Interview: Martina Goy
Erschienen in der tennis SPORT 4/2024
Herr Wagner, was reizt Sie daran, eine Profispielerin wie Ena Shibahara zu trainieren und sie auf Turnieren zu begleiten?
Wir haben uns in der Tennis Power Academy in Los Angeles kennengelernt, wo ich Trainer war. Erst war ich ihr Hitting-Partner, dann kam sie auf mich zu und fragte, ob ich nicht ihr Tour-Coach werden möchte. Sie mochte meinen Input. Ich fand die Herausforderung äußerst reizvoll. So begann es.
Sie sind auch zertifizierter Daten-Analyst. Warum?
Ich liebe es, in die Tiefen des Tennis einzutauchen. Als ich mit Ena zu arbeiten begann, war mir schnell klar, dass ich andere Wege gehen muss, wenn wir noch erfolgreicher sein und mehr Prozentpunkte aus dem Training und Matches herausholen wollen. Also habe ich mich als Datenanalyst ausbilden lassen. Das war nicht schwierig für mich. Statistik, Zahlen und Fakten sind eine große Leidenschaft von mir und waren schon im Studium ein zentraler Bestandteil für mich.
Und? Hilft es?
Im Doppel war Ena schon Nummer vier der Welt. Ziel für dieses Jahr ist es unter den Top 50 zu bleiben, da sie wegen der Konzentration aufs Einzel kaum Doppelturniere spielt. Im Einzel war sie zu Beginn unserer Zusammenarbeit auf einer Position jenseits der 500. Seit September dieses Jahres steht sie in den Top 150.
Ist Datenanalyse nur etwas für Profis?
Im US-Sport ist Datenanalyse schon lange selbstverständlich. Davon ist Tennis grundsätzlich noch weit entfernt. Aber der Trend ist eindeutig: Je mehr man über die individuelle Spielweise weiß, desto gezielter kann man trainieren. Aufschlag- und Return-Performance, Ballplatzierung, wie und wohin Winner spielen, aber auch, wie und wo passieren Fehlschläge – das sind Erkenntnisse, die im Match weiterhelfen. Trotzdem hat bei den US Open nicht jeder Trainer die iPads zur Datenanalyse genutzt, die zur Verfügung standen. Bislang sind es nur die Grand Slam-Turniere, die diesen Service und auch nur für die Einzel bereitstellen. Darüber hinaus bietet die ATP mit Playerzone eine Software, in der sich jeder Spieler und Trainer einloggen kann und so Zugang zu allen verfügbaren Statistiken hat.
Ena Shibahara dehnt mit Hilfe von Trainer Clemens Wagner (M.) den Schlagarm.
Was heißt das für Ihre Arbeit?
Ich mache die Datenanalyse für Ena händisch, da es das Angebot von der WTA noch nicht gibt. Dabei gehen ein paar Stunden drauf. Aber diese statistischen Einblicke sind für mich wichtig, weil ich daraus auch neue Ideen für die Trainingsarbeit generiere. Dass ich Trainer und Analyst in einer Person bin, ist im Profibereich allerdings unüblich. Bei den meisten sind diese Bereiche auf mehrere Schultern verteilt. Viele Profis arbeiten mit Firmen zusammen, die für sie die Statistiken erstellen und führen. Schätzungen gehen von Kosten in Höhe von zirka 3500 Euro im Monat aus. Das muss man sich leisten können.
Wie früh sollte man mit der Datenanalyse beginnen?
Intensiver ab etwa 16 Jahren auf hohem Leistungsniveau, meist auf internationaler Ebene. Es macht im Spiel einen großen Unterschied, ob ich weiß, dass 70 Prozent aller Punkte zwischen ein und vier Schlägen entschieden werden. Das zeigt, wie wichtig ein guter Aufschlag und Return sind. Individuelle Datenanalyse für einen Jugendspieler ist oft zu teuer und nicht notwendig, bevor das generelle Konzept aufgebaut ist.
Wird Datenanalyse ernst genommen?
Ich würde sagen, Datenanalyse erfordert für den Trainerberuf in Teilen neues Denken. Die Message ist für mich, dass Trainer sich mit generellen Statistiken im Tennis befassen sollen, um ihr Training besser gestalten zu können. Da geht es um Daten, die sie im Internet finden können oder einen Online-Workshop besuchen, an dem sie teilnehmen können. Fehleranalyse ist auch gut für den Amateurbereich, man kann diese recht simpel halten. Es gibt mittlerweile recht viele Apps, mit denen man diese Daten tracken kann.
Jenseits der Daten: Welche Philosophie vertreten Sie als Trainer?
Man muss versuchen, den Spieler zu erreichen. Nur dann macht die Zusammenarbeit Sinn. Ich bin ein Fan von Augenhöhe. Also nichts diktatorisch vorgeben, sondern versuchen, mit dem Spieler gemeinsam zu klären, was er will, wohin er will und wie er es erreichen möchte. Ich halte diese Art der Kommunikation für wichtig. Wenn der Spieler aktiv am Gespräch und Entwicklungsprozess beteiligt ist, fühlt er sich viel eher angenommen und verstanden.
Auch im kommerziellen Freizeitbereich?
Auch da halte ich es für wichtig zu wissen, dass es Unterschiede in der Mentalität gibt und dass man als Trainer darauf möglichst reagieren sollte, wenn es ums Feedback geht. In Gruppen muss man demnach den Sinn einer Übung gut erklären, sodass das Vertrauen in den Zweck und die Qualität eines Trainers da ist.
Was für ein Trainertyp sind Sie?
Ich hatte einen Mentor in den USA, der sehr laut in der Ansprache war. Man könnte sagen, er war ein typisches Alpha-Männchen, das besonders laut seine Anweisungen hinausschrie. Damit habe ich mich immer schwergetan. Laut zu sein, ist nicht mein Naturell. Dennoch habe ich anfangs auf der Tour mit Ena versucht, Stärke auszustrahlen, möglichst wie mein Mentor zu sein. Ich habe schnell gemerkt, dass das nicht funktioniert und festgestellt, dass Authentizität und Zuhören , sich in den anderen hineinversetzen viel wichtiger ist.
Es gibt aber Spielertypen, die wollen eine bestimmende Ansprache…?
Deswegen ist ein Trainer nie One-Size fits all. Das Zwischenmenschliche ist extrem wichtig. Ich habe bei meiner Arbeit zudem festgestellt, dass man grundsätzlich mit logischen und nachvollziehbaren Argumenten besser fährt. Und da bin ich wieder bei der Datenanalyse. Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Gegen beweisbare Zahlen kann man nur sehr schwer argumentieren. Das kann man auch im Freizeittennis machen.
Haben Sie einen besten Rat für Trainer im Amateur- und Hobbybereich?
Der wichtigste Rat ist, sich auf die Grundlagen zu konzentrieren und eine solide Technik zu entwickeln, da dies die Basis für alle weiteren Fortschritte ist. Darüber hinaus sollte man den Spielern vermitteln, wie sie ihre Stärken effektiv einsetzen und ihre Schwächen gezielt managen können. Für den Spieler ist es wichtig zu versuchen, sein eigenes Spiel so gut wie möglich zu kennen und Fehler zu minimieren. Und ich rate zu einem Buch, das ich als Tennis-Bibel empfinde: ,Winning Ugly‘ von Brad Gilbert. In dem Klassiker von 1997 kann man nachlesen, wie wichtig Taktik und mentale Stärke im Match sind. Das gilt für Freizeitspieler genauso wie für Profis.
Vita
Clemens Wagner, aus Deutsch-Wagram in Österreich, begann mit vier Jahren, Tennis zu spielen. Im Alter von 19 Jahren wechselte er an ein US-College. Nach dem Studium ging er nach Los Angeles und arbeitete dort u.a. zweieinhalb Jahre in der Tennis Power Academy. Seit 2023 ist er Tour-Coach der japanischen Profi-Spielerin Ena Shibahara. Wagner ist zudem zertifizierter Serve Specialist (TSS) und Certified Match Analyst.