Tennistrainer-Philosophie: In der Schärfe liegt die Kraft
Heinz Schwarz ist Jurist und Tennistrainer. Er hat ein Buch geschrieben, in dem er kritisiert, dass seine Branche sich zu sehr an Normen und lehrhaften Inhalten orientiert statt an individuellen Lösungsmöglichkeiten. Ein Gespräch über eine italienische Wut-Rede, die Klugheit eines kroatischen Trainers und die Vorteile eines Jurastudiums.
Interview: Martina Goy
Erschienen in der tennis SPORT 3/2024
Herr Schwarz, Sie kritisieren die gängigen Lehrmethoden ihrer Branche in Ihrem Buch „Spielen Sie noch richtiges Tennis oder gewinnen Sie schon was?“. Warum? Ist das nicht eine Art Nestbeschmutzung? Sie leiten selbst eine Tennisschule.
Ich bin seit mehr als 40 Jahren Trainer, habe jahrzehntelang meine Kollegen, aber auch mich, bei der Lehre auf dem Platz beobachtet und daraus Schlüsse gezogen. Am Ende geht es mir darum, zu erklären, warum so viele Schüler das Erlernte nicht im Match umsetzen können.
Trainer sind schlechte Lehrer?
Im Gegenteil. Ich halte es mit der legendären Flasche-Leer-Wutrede von Giovanni Trapattoni und seiner Kernaussage: ,Eine Trainer ise keine Idiote‘. Kein Trainer ist ein Idiot. Aber ich sehe besonders im deutschsprachigen Raum eine zu starke Priorisierung auf Lehrtätigkeit im Wortsinn und damit eine zu hohe Erwartungshaltung. Trainer und Lehrer sind aber nicht die gleichen Berufsbilder, obwohl sie gerade im Tennis oftmals gleichgesetzt sind.
Weil?
Da muss ich ein bisschen in die Vergangenheit gehen. Der Tennisboom erwachte in Deutschland mit dem Wimbledonsieg von Boris Becker. Danach war der Sport wahnsinnig populär. Immer mehr Vereine hatten plötzlich Zulauf in ihren Tennisabteilungen, brauchten entsprechend viele neue Trainer, und natürlich reagierte der deutsche Verband darauf und strukturierte die Ausbildung.
Das ist ja eigentlich positiv…?
Damals war Deutschland in der Sondersituation, dass viele Menschen mit dem Tennis begonnen hatten und man ein Bildungsmodell installieren wollte, das möglichst zum Weitermachen hätte animieren sollen. Ich nenne es die ,Verarztung von Massen‘. Und weil die Deutschen alles extrem gründlich machen– ein Vorurteil, ich weiß – sind Techniklastigkeit, Ideallastigkeit, Lehrerlastigkeit und Normierung die Faktoren, auf denen das Ausbildungssystem seit Boris Becker und seinen Erfolgen bis heute basiert.
Trainer Heinz Schwarz erklärt seinen Schülern theoretisch und praktisch die besondere Philosophie seiner Arbeit. ©Privat
Sind das wirklich Lasten eines Ausbildungssystems im Wortsinn?
Zumindest erzeugt so ein System Schüler, die sich oftmals suboptimal fühlen und sich fragen, warum ihr Tennis in Wirklichkeit, also im Match, nicht so funktioniert, wie sie es lernen. Als Folge schimpfen sie auf das Spiel der anderen. Wenn ihnen beispielsweise jemand hoch auf die Rückhand spielt und sie deshalb Probleme haben, dann ist das in ihren Augen kein ,richtiges Tennis‘, so wie sie es lernen oder gelernt haben und ist deshalb nicht akzeptabel. Gleiches gilt beispielsweise für Slice-Rückhände, die ebenfalls eher unbeliebt sind. Kurz gesagt: Es geht beim Tennisunterricht häufig eher um richtiges Lernen denn um individuellen Erfolg. Das ist meiner Meinung nach ein Irrweg.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Irgendwann hatte ich auf diese Sichtweise keine Lust mehr. Statt zu erklären, was der Schüler alles falsch macht, begann ich aufzuzeigen, was persönlich, also individuell, möglich ist. Dabei habe ich gemerkt, dass diese Herangehensweise nicht nur im Umgang angenehmer ist, sondern sich auch besser verkauft. Anfangs warnten mich viele Kritiker vor diesem Weg und dass die Kunden wegbleiben würden. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall.
Wir brauchen also mehr Trainer?
Nicht unbedingt. In Spanien habe ich sogenannte Basisgruppen mit 25 bis 30 Kindern gesehen, und drei bis vier, ich nenne sie mal, Überwachungspersonen, die die Kinder erst einmal einfach nur Tennis spielen ließen. Das sind keine ausgebildeten Trainer. Hier zählt weniger der pädagogisch richtige Weg als der Spaß am Sport und am Ende der Erfolg, wie auch immer man den definiert.
Wie funktioniert stattdessen Sportlehre in Deutschland?
Sie fußt auf Trainerscheinen und dem monopolisierten Ausbildungssystem der Dachverbände. Korrekte Lehre und ein Trainerschein stehen im Vordergrund. Dazu kommt, dass sich nur große Vereine festangestellte Trainer leisten können. Die kleineren holen sich selbstständige Trainer von außen, sie haben das Training outgesourct. Daraus ergibt sich ein gravierendes Problem, wie schon der ehemalige US-Präsident Bill Clinton erkannte: ‚It’s the ecomomy, stupid!‘ Es ist die Wirtschaft, Dummkopf!
Das heißt…?
Um sich und ihre Familie ernähren zu können, müssen Trainer so viele Stunden geben wie möglich. Das erzeugt eine Art Abhängigkeitsverhältnis zum Kunden. Sich davon zu emanzipieren, ist aber schwierig. Weshalb manche Tennistrainer ihren Schülern nach dem Mund reden oder eben normiert trainieren, um sie als Kunden zu behalten. Das aber ist nicht der Sinn von Training und verbessern wollen, wie ich es verstehe.
Sie üben Grundsatzkritik. Wer soll was wie ändern, wenn wirtschaftliche Interessen wichtig sind?
Die Politik und auch die Verbände allein sind nicht stark genug. Wir Trainer sind es, die an unserem Berufsbild schrauben sollten. Statt alles auf ein zumeist nicht erreichbares Highend-Ziel auszurichten, sollten wir herausfinden, was der Schüler will, was er kann und wie ehrlich ich sein darf in meiner Ansprache und Hilfestellung?
Das heißt?
Ich antworte mit einem Zitat von Niki Pilic, dem einstigen Daviscup-Teamchef und früheren Trainer von Novak Djokovic. In seiner Tennisschule in München habe ich 15 Jahre als Trainer und Geschäftsführer gearbeitet. Er sagte grundsätzlich gleich zu Beginn des Trainings zu seinen Schülern: „Darf ich dir etwas zu deinem Tennis sagen?“
Und? Was sagt Heinz Schwarz?
Ich frage auch erst einmal. Nur wenn der Schüler es auch hören möchte, ergänze ich bei Interesse die Technikaspekte strategisch und mental, die Idealaspekte um Kompromisse, die Lehreraspekte um mehr Coaching und die Normierungsaspekte um mehr Individualisierung. Kurz gesagt, ich lege größeren Wert darauf, eine Selbstlern- und Problemlösungsfähigkeit meiner Schüler zu unterstützen und weniger darauf, ein vorgeformtes Bild schön nachzuzeichnen.
Wie genau sieht das in der Praxis aus?
Tennisunterricht ist Tennisunterricht und ein Trainer in einem Verein ist ein Trainer in einem Verein. Oder wie Niki Pilic das sagen würde: ,Tennis ist halt mal Vorhand und mal Rückhand‘. Ich habe zwei Ergänzungen in ,meinen Vereinen‘ vorgenommen, die, wie ich glaube, mehr von dem bringen, was ich Vereinsförderung nennen würde. Ich habe einerseits eine intensive Kommunikation mit meinen Schützlingen eingerichtet, in der wir meist per WhatsApp, machmal 70 pro Wochenende, über deren Erlebnisse in den Spielen diskutieren. Und andererseits habe ich viele der von mit ausgebildeten Leute als ,Vereinscoaches‘ weiterentwickelt und eingesetzt. Sie decken jene Bereiche ab, die der Verein braucht, die ich als ,Profitrainer‘ aber nicht allein abdecken kann. Also Mannschaftsbetreuung bei den Spielen, Schnupperkurse, kleine Kinder und mehr.
Dann lerne ich bei Ihnen leichter und entspannter Tennisspielen?
Das müssten Sie die Schüler fragen! Aber ja, ich glaube, dass mein System den Stress reduziert, der zum Lernprozess gehört. Ich stelle Informationen bereit, die hilfreicher sind als das bloße Beschreiben von Idealzuständen und dem Abgleich zwischen Ideal und mangelhafter Ausführung.
Erst nachdenken und dann handeln – dieser Maxime hat sich Schwarz als Trainer verschrieben. ©Privat
Was sollten Ihre Schüler wissen?
Vor allem, dass man zu vielen Trainern gehen kann – aber immer sich selbst mitbringt. Und dass Tennis mehr ein Fehlervermeidungsspiel denn ein Punkteerzwingungspiel ist. Daraus folgt die große mentale Herausforderung, unvermeidliche Fehler ertragen zu können.
Wie kann man das schaffen?
Für den taktisch-mentalen Bereich bedeutet es, dass man als Spieler maximal unmittelbarkeitsorientiert, also flexibel, agieren sollte, während die Entwicklung der Technik optionsorientiert sein sollte. Der Trainer sollte sein Training nicht an einer Normierungsidee ausrichten, sondern um eine Individualisierungsidee ergänzen. Ich halte es für eine schlechte Idee, einen kreativen Sport zu normieren. Also schaue ich, was könnte der Spieler von meinen Trainingsideen umsetzen und diese Erkenntnisse kleide ich in Übungen.
Sie sagen dem Schüler also, es hat keinen Sinn, weil du es nicht lernen wirst…?
Das ist nicht so dramatisch, wie es sich anhört. Ich stehe ja nicht jeden Morgen auf, um jemanden zu ärgern. Ich will helfen, dass Schüler einen besseren Zugang zu ihren Stärken und Schwächen bekommen. Wenn man es so formuliert, ist es einleuchtend. Im Übrigen kann man diese Strategie auch bei Weltklassespielern sehen.
Ein Beispiel, bitte!
Nehmen Sie Rafael Nadal. Er verhält sich strategisch so, dass er seine Schwächen akzeptiert und sie kompensiert, indem er die Rückhand möglichst umläuft und den Schlag mit seiner starken Vorhand ausführt.Diese Strategie kann man nachahmen.
Das heißt aber auch, dass der Schüler die technische Alternative können muss…?
Natürlich muss man als Trainer genau hinschauen, was man dem Schüler an neuen Ideen zumuten und was er davon umsetzen kann. Die meisten von uns arbeiten mit Freizeit- und Hobbyspielern. Sie haben andere körperliche und technische Voraussetzungen, trainieren mit viel weniger Intensität als Profis. Grundsätzlich sollten Schüler die Schläge machen, die sie auch kontrollieren können. Das ist effektiver, als um jeden Preis Schnelligkeit und Power im Schlag erzeugen zu wollen.
Hilft Ihnen bei der Analyse von Strategien ihr beruflicher Weg? Sie sind Jurist, also regelsicher.
Regeln beachten heißt, sie zu kennen, sie zu akzeptieren und richtig zu interpretieren. Ich bin skeptisch dort, wo jeder angeblich weiß, wie die Regeln gehen. Als Tennistrainer habe ich früh gemerkt, dass ich nicht mitmachen möchte beim Geschäft mit der Hoffnung. Und ich hatte gute Lehrmeister, die Tennistraining ähnlich sehen wie ich: ehrlich sein und gemeinsam mit den Schülern den weiteren Weg besprechen.
Jurist ist ein angesehener Beruf, das Trainerimage ist weniger strahlend…?
Das ist nicht wichtig für mich. Ich habe schnell erkannt, dass die Juristerei nicht mein Leben ist, aber Tennisspielen habe ich schon als kleiner Junge geliebt. Als sich die Möglichkeit ergab, diesen Berufsweg einzuschlagen, habe ich keine Sekunde gezögert. Als in Deutschland mein Abschluss nicht anerkannt wurde, eröffnete ich in Freiburg meine erste Tennisschule. Später ging ich zur Tennis-Academy von Niki Pilic und erweiterte meine Tools um betriebswirtschaftliche Inhalte, kümmerte mich ums Marketing, entwickelte neue Trainingskonzepte. Strukturiertes Arbeiten, gerade auf dem Tennisplatz, ist genau mein Ding. Insofern hat das Jurastudium nicht geschadet.
Info
Spielen Sie noch richtiges Tennis oder gewinnen Sie schon was? Eine Relativierungstheorie zum Tennisunterrichts – Schmäh eines richtigen Tennis Heinz Schwarz, Lemmens Medien (Verlag), Preis: 17 Euro.
Vita
Dr. Heinz Schwarz geboren Österreich, studierte Jura, arbeitete zwei Jahre als Rechtsanwalt in einer Kanzlei. Danach betrieb er zehn Jahre lang eine Tennisschule in Freiburg, wechselte später nach München an die Academy von Niki Pilic, wo er viele Jahre Geschäftsführer war und unter anderen den jungen Novak Djokovic mittrainierte. Heute betreibt er eine Tennisschule beim ASV Dachau, und ist Trainer und Markenbotschafter des Reiseveranstalters Zischka-Reisen.