So können Tennisspieler von Boxern lernen
Auch wenn die Sportarten Boxen und Tennis auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten haben, können Tennisspieler einiges von Boxern lernen. Wir stellen zehn Übungen aus dem Kampfsport vor.
Fotos: Claudio Gärtner
Neulich, im Interview mit tennis MAGAZIN erzählte Andrey Rublev, dass die Sportart, die sein Vater professionell betrieben hat, ihm in seiner Tenniskarriere geholfen habe: Boxen. In seiner Kindheit ließ Rublev senior immer wieder Boxeinheiten in die Tennisstunden mit einfließen. „Das gab mir die nötige Ausdauer“, sagte der Russe. Auf den ersten Blick können zwei Sportarten kaum unterschiedlicher sein. Bei der Kampfsportart geht es darum, die Fäuste möglichst kraftvoll einzusetzen, den Gegner so häufig es geht zu treffen und schnellstmöglich außer Gefecht zu setzen. Das Ziel im Tennis ist, mehr Punkte als der Gegner zu erzielen. Was sollen Tennisspieler also von Boxern lernen?
Box-Training mit Serena Williams und Andy Murray
Durchstöbert man die Social Media-Kanäle der ATP- und WTA-Profis, sieht man schnell, dass viele Profis den Tennisschläger gelegentlich gegen Boxhandschuhe tauschen: Serena Williams, Andy Murray, Victoria Azarenka, Jack Sock oder Dayana Yastremska. „Ich habe schon mit einigen Tennisspielern gearbeitet, die ihre Fähigkeiten verbessern wollten und deshalb zum Boxen gekommen sind“, sagt Till Görres, Besitzer des Boxstudios „Boxing Movement“ in Hamburg. Wo liegt also der Schnittpunkt der Sportarten? „Es gibt einige“, antwortet Boxtrainer Görres. „Angefangen bei der Beinarbeit über die Reaktionsfähigkeit, die Koordination bis hin zur Beobachtung und Analyse der Gegner können Tennisspieler sich vieles bei Boxern abschauen – aber auch umgekehrt.“
Zwar unterscheiden sich die äußeren Gegebenheiten wie der Platz, die Distanz zum Gegner und die Arbeitswerkzeuge der Sportler, im Großen und Ganzen geht es aber darum, dem Gegner körperlich und psychisch überlegen zu sein. Dazu muss man diesen einerseits ständig analysieren, um seine Schläge, Bewegungen und Spielzüge vorherzusehen, andererseits muss man gewappnet sein, eben darauf schnellstmöglich zu reagieren. Der Kampfsportexperte Görres zeigte tennis MAGAZIN zehn Übungen aus dem Kampfsport, von denen auch Tennisspieler profitieren können.
Übung 1: Seilspringen
Seilspringen verbindet man immer mit dem Boxen. Aber nicht nur Kampfsportler profitieren von der vielfältigen Aufwärmübung. Beim Seilspringen ist der ganze Körper im Einsatz, gleichzeitig schult man die Arm- und Beinkoordination. Von kleinen Sprüngen auf beiden Füßen, über einbeinige Sprünge bis hin zu Wechselsprüngen kann alles ins Warm-up integriert werden. Die Masteraufgabe wäre dann das Springen auf Zeit: eine Minute auf hohem Tempo ohne Fehler.
Durchführung: bis zu zehn Minuten in mehreren Variationen
Ziel: Aufwärmen, Koordination, Ausdauer
Übung 2: Nicht berühren
Auch diese Übung eignet sich gut zum Aufwärmen. Parallel werden offensive und defensive Taktiken geschult. Beide Schüler versuchen, den anderen (sanft!) an den Schultern oder Knien zu berühren. Gleichzeitig müssen sie aber auch ausweichen, um selbst nicht „gefangen“ zu werden. Wichtig dabei ist, darauf zu achten, wie sich der Kontrahent bewegt. Plant er eine Offensive? Welche Angewohnheiten hat er, bevor er „angreift“? Wohin richtet sich sein Blick?
Durchführung: fünf bis zehn Minuten
Ziel: Gegneranalyse, Reaktion und Beinarbeit verbessern
Übung 3: Spiegellauf
Die Gegner stellen sich knapp eineinhalb Meter bzw. einen Schritt und eine Armlänge voneinander entfernt auf. Im Boxen ist das der optimale Abstand, den man zum Gegner haben sollte, um weder in der Bewegung eingeschränkt, noch zu weit entfernt zu sein, um zuzuschlagen. Ein Boxer gibt nun Laufrichtungen vor, bewegt sich vor, zurück oder zur Seite. Die Aufgabe des zweiten Boxers ist es, diesen Bewegungen zu folgen und den Abstand weiterhin zu halten. Drehungen sind auch erlaubt, allerdings nur um 90 Grad.
Durchführung: zehn Minuten mit Aufgabenwechsel
Ziel: Konzentration, Gegneranalyse, Beinarbeit verbessern
Übung 4: Mit dem Rücken zum Ball
Ein Schüler positioniert sich 1,5 Meter vor dem Trainer/Mitspieler und wendet ihm den Rücken zu. Der Blick ist nach vorne gerichtet. Nun wirft der Trainer/Mitspieler einen Tennisball über den Schüler hinweg oder seitlich an ihm vorbei. Die Aufgabe des Schülers ist es, den Ball zu fangen – im Optimalfall, ohne dass der Ball auf dem Boden aufkommt. Damit der Schüler eine Chance hat, den Ball zu fangen, sollte er in einem kleinen Bogen geworfen werden. Die Schwierigkeit der Übung liegt darin, dass der Schüler sein Gegenüber nicht sieht und somit nicht ahnen kann, wo der Ball herkommt. Man muss also hochkonzentriert sein, um den Ball so früh wie möglich zu sehen und schnell reagieren zu können. Um die Übung zu vereinfachen, kann man den Ball einmal aufkommen lassen.
Durchführung: 20 Wiederholungen
Ziel: Schulung Reaktion
Übung 5: Abpraller
Der Schüler steht einen Meter vor einer Wand. Hinter ihm positioniert sich der Coach und wirft einen weicheren Ball, etwa einen Schaumstoff- oder Softball, mit Power gegen die Wand. Ohne dass der Ball den Boden berührt, muss der Schüler den Ball fangen. Um das Schwierigkeitslevel und die Schnelligkeit zu erhöhen, können später Tennisbälle eingesetzt werden.
Durchführung: 20 Wiederholungen
Ziel: Verbesserung Reaktion
Übung 6: Kraftakt
Diese Übung simuliert die Schlagbewegung im Boxen (Übung 7). Der Schüler stellt sich 1,5 Meter vor einer Wand in Box-Grundstellung auf: linker Fuß vor dem rechten. Aus Schulterhöhe wird ein drei Kilogramm schwerer Medizinball mit dem größtmöglichen Kraftaufwand an die Wand geworfen. Für den Bewegungsablauf gilt: Wirft man mit links (als Rechtshänder), bleibt die Hüfte parallel zur Wand, wirft man mit rechts, dreht sie sich mit nach vorne. Dabei macht immer der linke Fuß einen Schritt nach vorne. Die Übung kann man locker durchführen oder auf Zeit (30 Sekunden) mit höchstmöglicher Frequenz.
Durchführung: 15 Würfe pro Seite + ein Durchgang pro Seite auf Zeit und Schnelligkeit
Ziel: Training, Kraft, Ausdauer
Übung 7: Erste Schritte im Boxen
Um die folgenden Übungen machen zu können, ist es wichtig, die Grundbewegung der Boxer zu kennen. Für einen Rechtshänder gilt: Der linke Fuß steht leicht versetzt vor dem rechten. Die rechte Faust ist vor dem Kinn, sie schützt das Gesicht. Die linke Faust ist ein Stück weiter vorne. Will man mit links zuschlagen, geht man mit dem linken Fuß einen Schritt nach vorne, streckt den Arm aus (nie ganz durchstrecken) und dreht die Hand, sodass die Fingerknöchel nach oben zeigen. Die rechte Hand deckt weiterhin das Gesicht. Schlägt man mit rechts zu, macht man ebenfalls mit dem linken Fuß einen Schritt nach vorne. Diesmal deckt die linke Hand das Gesicht. Was sich ändert: Die Hüfte dreht sich mit nach vorne. Anschließend nimmt man immer wieder die Ausgangsposition ein.
Durchführung: 20 Wiederholungen pro Arm
Ziel: Boxbewegung lernen
Übung 8: Auf Kommando boxen
Zu einem richtigen Boxtraining gehören neben den Handschuhen auch ein Boxsack. Dieser kann auf vielfältige Weise ins Training integriert werden. Bei dieser Übung soll auf ein Kommando reagiert werden. Die Schüler stehen einen Schritt und eine Armlänge vom Boxsack entfernt und sind in ständiger Bewegung. Heißt: Sie tänzeln leicht um den Boxsack. Dann erfolgt eine laute Anweisung des Coaches.
Variation 1: Der Coach ruft nach Belieben „hey“ oder „go“ in den Raum. Sobald das Kommando ertönt, schlagen die Schüler zu. Ziel ist es nicht, so kraftvoll wie möglich, den Boxsack zu treffen, sondern so zügig es geht, zu reagieren und anschließend wieder in die Ausgangsposition zurückzukommen.
Variation 2: Der Coach vereinbart gewisse Kommandos mit den Schülern. Zum Beispiel: Ruft er „eins“, schlagen die Schüler mit der Führhand (der schwächeren Hand, bei Rechtshändern die linke Hand) zu. Ruft er „zwei“ kommt die Schlaghand zum Einsatz. Bei dem Ausruf „drei“ erfolgt eine Schlagkombination. Die Schüler boxen erst mit der Führhand, dann mit der Schlaghand. Die Kommandos können nach Belieben variiert und erweitert werden.
Durchführung: je dreimal drei Minuten
Ziel: Ausdauer, Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit verbessern
Übung 9: Ziel im Blick
Coach und Schüler stehen sich gegenüber, erneut auf knapp 1,5 Meter Abstand. Der Coach bewegt sich langsam durch den Raum. Wie beim Spiegellauf (Übung 3) folgt der Schüler ihm und hält dabei den Abstand von zwei Armlängen ein. Nach Belieben hebt der Trainer eine Hand für wenige Sekunden. Die Aufgabe des Schülers ist es, so schnell es geht zuzuschlagen. Dabei gilt: Die linke Hand schlägt auf links, die rechte Hand auf rechts. Die jeweils andere Hand hält die Deckung. Einige Tennisspieler werden überrascht sein, wie lange die eigene Reaktionszeit ist. Denn die Schwierigkeit dieser Übung liegt darin, einerseits die Bewegungen des Gegenübers zu beobachten, sich gleichzeitig mitzubewegen und schließlich mit dem richtigen Schlag auf die Aktionen des Coaches zu reagieren. Gar nicht so einfach!
Durchführung: dreimal drei Minuten
Ziel: Schulung Schnelligkeit, Reaktion, Präzision
Übung 10: Boxen auf Zeit
Bei der letzten Übung powert man sich richtig aus. Dazu hält eine Person den Boxsack fest. 15 Sekunden lang schlägt der Schüler mit der entsprechenden Boxbewegung (Übung 7) auf den Boxsack ein. Auch hier gilt: Die Schläge müssen nicht hart sein. Der Fokus liegt auf der präzisen Ausführung. Wer das Training schwieriger gestalten möchte, versucht, parallel zum Schlagen die Beine anzuheben und sozusagen mit der Schlagbewegung zu laufen.
Durchführung: insgesamt acht Minuten, je 15 Sekunden boxen, 15 Sekunden Pause
Ziel: Verbesserung Kraftausdauer
Experte Till Görres
Till Görres, 55 Jahre alt, ist Besitzer des Boxstudios „Boxing Movement“ in Hamburg-Winterhude. Als lizensierter Trainer bietet er neben Boxen, Thaiboxen und Kickboxen auch Box-Workouts an. Unter anderem veranstaltet er das Profi-Kickbox-Event „Kick in the ring“ in der edel-opitcs.de-Arena in Hamburg-Wilhelmsburg. www.boxingmovement.de
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