Martina Navratilova – Herrscherin im Heiligtum
Keine Spielerin ist so eng mit dem Traditionsturnier verbunden wie Martina Navratilova, die insgesamt 20 Titel in Wimbledon holte.
„Wimbledon ist wie eine Droge. Wenn du es einmal gewinnst, willst du es immer wieder schaffen.“ Keine Aussage von Martina Navratilova beschreibt besser, was ihr Antrieb als Tennisspielerin war. Navratilova und Wimbledon: Das war wie Erdbeeren und Sahne, wie London und Doppeldecker-Busse, wie Aufschlag und Volley – eine fast symbiotische Beziehung, durch nichts zu entzweien, selbst durch Karriereenden nicht. 2003, neun Jahre nach ihrem Rücktritt als Einzelspielerin, kehrte sie mit 46 Jahren und acht Monaten zurück nach Wimbledon – und gewann im Mixed mit Leander Paes ihren insgesamt 20. Titel an der Church Road (Einzel, Doppel, Mixed). Ein geteilter Rekord: Billie-Jean King sammelte in ihrer Laufbahn genauso viele Wimbledon-Pokale ein. 2004 trat Navratilova sogar noch einmal im Einzel an und überstand eine Runde (Sieg gegen Catalina Castano). Es war ihre 23. Teilnahme (!!!) am Einzel-Wettbewerb von Wimbledon. Aber selbst danach war noch nicht Schluss: 2005 und 2006 startete sie jeweils im Doppel und Mixed, um ihre 21. Championship-Krone zu holen, was ihr jedoch verwehrt blieb. Die Droge Wimbledon ließ sie einfach nicht los. 325 Partien hat sie – in allen Disziplinen – auf dem heiligen Rasen bestritten. Es ist ein Rekord für die Ewigkeit. „Der Tennisball weiß doch nicht, wie alt ich bin“, sagte Navratilova einmal und niemand hätte sich gewundert, wenn sie auch noch in ihren Fünfzigern auf dem berühmtesten Centre Court der Welt gestanden hätte.
„1973 hatte ich 15 Kilo zu viel auf den Rippen“
Martina Navratilova wurde zur Alleinherrscherin von Wimbledon. Das war 1973, bei ihrem ersten Auftritt auf Gras, nicht unbedingt absehbar. Navratilova kannte Rasentennis bis zu ihrer Wimbledon-Premiere nur aus dem Fernsehen. Sie hatte gedacht, dass sich ein Tennisrasenplatz nicht großartig von einem Fußballfeld unterscheidet. Bei ihrem ersten Training auf Rasen im Londoner Queens Club war sie überrascht, wie kurz das Grün geschnitten war. Wenn Navratilova an ihr Debüt zurückdenkt, fällt ihr als erstes ihr Übergewicht ein. „Ich hatte damals mindestens 15 Kilo zu viel auf den Rippen“, erzählte sie in einem Rückblick 2012 der englischen Tageszeitung „The Telegraph“. Und das, „obwohl ich jeden Tag drei bis vier Stunden Tennis spielte“, wunderte sie sich. Allerdings: Navratilova hatte schon damals einen Stil, der für die schnellen Rasenplätze perfekt war. Aufgewachsen auf eher langsamen tschechischen Sandplätzen, rannte sie schon im frühen Kindesalter bei jeder Gelegenheit ans Netz. „Ich war neun Jahre alt, konnte kaum übers Netz schauen und spielte nur Serve-And-Volley“, erinnerte sie sich. Bei den French Open 1973 fiel sie der Tennis-Öffentlichkeit erstmals auf, weil sie auf der „terre battue“ von Roland Garros mit giftigem Serve-And-Volley-Spiel als 16-jähriger Nobody bis ins Viertelfinale stürmte. Ihr kompromissloses Angriffstennis machte sie in Wimbledon schließlich zu ihrem Markenzeichen.
Inbegriff für Fitness, Disziplin und Selbstbeherrschung
Später wurde Navratilova zum Inbegriff für Fitness, Disziplin und Selbstbeherrschung auf und neben dem Platz. Sie aß strikt nach Ernährungsplänen, spulte täglich Konditions- sowie Kräftigungsdrills ab und beschäftigte sich intensiv mit der mentalen Komponente des Tennissports. Sie verhielt sich, anders als ihre Gegnerinnen damals, wie ein echter Profi. Allein durch ihre Lebensweise enteilte sie der Konkurrenz. Besonders deutlich wurde ihr Wettbewerbsvorteil während der 80er Jahre in Wimbledon. Nach ihren ersten beiden Einzeltiteln 1978 und 1979 baute sie ihre Vormachtstellung mit erstaunlicher Dominanz aus. Zwischen 1982 und 1987 verlor sie kein Einzel und holte sechs Titel in Serie. 1988 und 1989 stand sie zudem noch im Einzelendspiel, beide verlor sie gegen Steffi Graf. Navratilova gewann in dieser Zeit 47 Matches in Wimbledon hintereinander. 1990 triumphierte sie zum neunten und letzten Mal.